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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Sobald ich herausgefunden habe, wie der Leiter der Schule heißt –
Michael Bordwin –, rufe ich den zu Hause an.
    Man merkt ihm an, als er sich meldet, dass er aus dem Schlaf
gerissen wurde, trotzdem ist er sofort voll da. Man merkt ihm auch an, dass er
einen sehr schlechten Tag gehabt hat. Wer spricht da?, fragt
er barsch.Ich stelle mich vor, und er sagt prompt,
er gebe keinen Kommentar ab. Keinen Kommentar wozu ?,
frage ich. Als er darauf nichts sagt, erkläre ich ihm, dass ich weiß, dass zwei
Schüler seiner Schule wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung verhaftet
wurden. Dass er auch darauf nichts sagt, ist mir Bestätigung genug. Ich frage,
ob er sich zu der Sache äußern möchte und lege die Standardplatte auf: dass es
gut für ihn wäre, einen Kommentar abzugeben, weil die Geschichte sowieso ans
Licht kommen werde, und er jetzt die Chance habe, seine eigene Sicht der Dinge
dazustellen. Ich warte darauf, dass er auflegt, aber stattdessen sagt er:
»Heute war ein sehr schwerer Tag für Avery.« Und ich frage: »Warum sind nur
zwei Jungs in Gewahrsam? Wo ist der dritte?« Da erkennt er offenbar, dass ich
praktisch von nichts eine Ahnung habe, und legt auf.
    Aber das ist ganz okay, ich bin eh schon zur Tür hinaus und auf dem
Weg zu meinem Wagen. Ich weiß, dass ich noch vor Morgen in Avery ankomme, und
da fahre ich dann direkt zur Polizei und verlange Auskunft.
    Aber vor allem macht mir die Gewissheit Beine, dass auf mich die
beste Quelle wartet, die ein Reporter sich für so eine Story wünschen kann: ein
Haufen Schüler.

Gail
    I ch möchte gleich klarstellen, dass ich
diese Angelegenheit nicht in meiner beruflichen Eigenschaft als Rechtsprofessor
an der Universität Vermont kommentieren werde, sondern als Laie, der sich im
Recht des Staates Vermont auskennt und gebeten wurde, den Fall zu prüfen.
    Ich habe mir das fragliche Band angesehen. Auf den ersten Blick
gewinnt man den Eindruck, dass alles, was geschah, mit zumindest teilweiser
Zustimmung der Vierzehnjährigen stattfand. Dass ihr Alkohol verabreicht wurde
oder sie selbst ihn sich zugeführt hat, ist ebenfalls hinreichend offenkundig.
Zu keiner Zeit während der Vorgänge scheint sie komatös oder bewusstlos zu
sein. Sie wirkt ganz im Gegenteil recht kompetent bei dem, was sie tut.
    Aber es sind andere, bedeutsamere Faktoren an diesem Abend im Spiel,
die darüber entscheiden sollten, ob hier das Gesetz zum Zug kommen muss. Schon
die Tatsache, dass wir es mit drei jungen Männern und einer jungen Frau zu tun
haben, und dass diese jungen Männer alle mindestens vier Jahre älter sind als
die junge Frau, legt naturgemäß Nötigung nahe. Die späteren Behauptungen der
Täter, das Mädchen habe sie verführt, sei willig gewesen oder gar die treibende
Kraft bei der ganzen Sache, sind irrelevant. In dem Augenblick, als die jungen
Männer sich verführen ließen, machten sie sich – ganz gleich, wie geübt oder
ungeübt die junge Frau war, ganz gleich, ob sie nüchtern oder betrunken war –
im Sinne der Gesetze des Staates Vermont eines Verbrechens schuldig. Die Frage,
ob in einem Fall der Tatbestand der Nötigung erfüllt ist oder nicht, ist leicht
beantwortet. Das Gesetz ist hier sehr klar. Bei einer Situation, in die drei
junge Männer von achtzehn und mehr Jahren sowie eine junge Frau von vierzehn
Jahren verwickelt sind, liegt ganz sicher ein Fall von Nötigung vor.
    Wenn man so ein Band sieht, neigt man vielleicht dazu, sich zu
sagen, ›Sie hat es nicht anders gewollt‹. Nach dem Gesetz spielt es keine
Rolle, ob sie es gewollt hat oder nicht. Die jungen Männer waren alt genug, um
Nein zu sagen, und das hätten sie tun müssen. Da sie es jedoch nicht getan
haben, wurden sie völlig zu Recht festgenommen und der sexuellen Nötigung
beschuldigt.
    Es gibt in diesem Fall noch weitere interessante Faktoren, die
eine ganz andere Frage aufwerfen. Nachdem der Schulleiter sich das fragliche
Band angesehen hatte, bestellte er zwei der drei jungen Männer in sein Büro und
verlangte von ihnen schriftliche Geständnisse zur  Vorlage beim Disziplinarausschuss, ohne ihnen
Gelegenheit zu geben, ihre Eltern oder einen Anwalt anzurufen.
    Auch das war Nötigung, ein ungeheuerlicher Vorfall. Der Schulleiter,
der genau wusste, dass kaum ein Achtzehnjähriger sich mit einer solchen
Geschichte freiwillig an seine Eltern oder einen Anwalt wenden würde – schon
aus Angst, dass die Eltern dann das beschämende Band zu sehen bekämen –, zählte
darauf, dass die

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