Weil sie sich liebten (German Edition)
jungen Männer gestehen würden, und genau das taten sie. Es ist
klar, dass hier von der Schule versucht wurde, die Angelegenheit vor der
Öffentlichkeit geheim zu halten.
Am selben Tag jedoch riefen meines Wissens die Eltern des Opfers in
der Schule an und verlangten angemessene Maßnahmen. Noch bevor der Disziplinarausschuss
zusammentreten konnte, wurden die schriftlichen Erklärungen der jungen Leute,
mit denen sie praktisch die sexuelle Nötigung zugaben, der Polizei übergeben.
Als zwei der jungen Männer verhaftet wurden, hatten diese noch keine
Möglichkeit gehabt, Rat einzuholen.
Einer von ihnen, der neunzehnjährige James Robles, hat den
Schulleiter, Michael Bordwin, mit der Begründung verklagt, er habe sich ihm
gegenüber rechtswidrig und ungerecht verhalten. Es wird unterstellt, die Schule
habe ihren mit Robles abgeschlossenen Vertrag gebrochen, als dieser zu einem
Geständnis gezwungen wurde, ohne dass ihm der Beistand seiner Eltern oder eines
Anwalts zugestanden wurde.
Gemäß dem Gesetz über die Nichteinhaltung einer Vertragspflicht
konnten die jungen Leute erwarten, dass die Avery Academy sie auch solange sie
keinen Anwalt hatten mit Anstand und Respekt behandeln würde. Die Schule hätte
ihre Geständnisse nicht annehmen dürfen, ihnen vielmehr raten müssen, sich ohne
Rechtsbeistand nicht zu äußern. Das aber hat sie, der Klageschrift zufolge,
nicht getan, in erster Linie deshalb, weil ihre eigenen Interessen mit denen
der Schüler kollidierten. Während den jungen Männern, die ja noch Schüler waren, möglicherweise nicht bewusst war, dass sie
elterliche oder anwaltliche Vertretung brauchten, wusste das der Schulleiter
als älterer und umfassender gebildeter Mann sehr wohl.
Wenn wir uns die Klageschrift ansehen, haben wir es hier also mit
dem heiklen Fall zu tun, dass die jungen Leute, denen man Nötigung vorwirft,
ihrerseits zu ihren Geständnissen genötigt wurden.
Indem die Schule aus Eigennutz die Interessen der jungen Leute missachtete, hat
sie möglicherweise gemäß den im Staat Vermont gültigen Gesetzen eine strafbare
Handlung begangen.
Mike
D ieses innere Flattern, als störten
elektrische Impulse sein Denken und Tun, war Mike neu. Hatte er sich so
gefühlt, als er bei jener schicksalshaften Thanksgiving-Party über den Tisch
hinweg Meg angesehen hatte? Er war damals beinahe zwanzig Jahre jünger gewesen,
vielleicht konnte sein Körper – wie der eines alternden Pitchers – Stress nicht
mehr so gut auffangen, und die Nadel schlug deshalb stärker aus. Wenn er Anna
nicht gerade vor sich sah, wie sie mit unter dem Busen verschränkten Armen an der
Anrichte lehnte, dachte er daran, wie sie sich, von irgendetwas scheinbar
Belanglosem, das er gesagt hatte, ergriffen, von ihm abwandte. Oder wie sie,
völlig unerwartet für ihn, ihre Hand auf die seine legte.
In seiner Küche schenkte er sich ein Glas Rotwein ein, als könnte er
so die Verbindung aufrechterhalten, so dünn sie auch war. Er war froh, dass Meg
bei einer Besprechung war und nicht vor neun nach Hause kommen würde, es wäre
ihm schwergefallen, ein Gespräch mit ihr zu führen. Aber ihre Gespräche waren
im Lauf des letzten Jahres ohnehin immer angestrengter geworden. Manchmal
fragte Mike sich, ob Meg vielleicht einen anderen hatte. Möglich wäre es gewesen.
Genauer gesagt, er hatte den Eindruck, dass eine gewisse Neigung Megs, ihn
wegwerfend zu behandeln, sich ins Unerträgliche verstärkt hatte. Sie schien bisweilen
so aversiv gegen Mike, dass sie kaum sprechen konnte. Er hätte gern gewusst,
was genau ihr so heftig zusetzte. Vielleicht hatte sie sich ein glücklicheres Eheleben
vorgestellt? Hatte er es nicht geschafft, ihre sexuellen Wünsche zu erfüllen?
Oder war es schlichte Rastlosigkeit, eine immer stärker werdende Sehnsucht nach
einem Ortswechsel, während sie in Avery festsaßen – womöglich bis zum
Ruhestand, eine ziemlich gruselige Vorstellung auch für Mike. Er war oft
versucht, Meg zu fragen, was sie umtrieb, aber wenn er es wirklich einmal
gewagt hatte, war sie mit irgendeinem kleinen Ärgernis dahergekommen, das er
kaum beachtet oder von dem er gar nicht gewusst hatte – zum Beispiel die
schlechten Aussichten für das Volleyballteam –, oder aber die Frage hatte zu
seiner Bestürzung nur bewirkt, dass sie mit einem gereizten Seufzen
demonstrativ das Zimmer verließ.
Er öffnete den Kühlschrank, aber das Angebot reizte ihn nicht. Er
hatte ohnehin kaum Appetit. Er setzte sich an den Tisch, stand
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