Weil wir glücklich waren - Roman
sich nahm.
»Deine Studiengebühren kann ich mir leisten, kein Problem«, sagte er, vermied es aber dabei, mir ins Gesicht zu sehen. »Ich will nicht, dass du dir deswegen Sorgen machst. Aber das Geld ist ein bisschen knapp. Falls du eine Idee hast, wie man ein paar Ausgaben senken könnte, wäre ich dir ehrlich gesagt sehr dankbar.«
Deshalb kehrte ich ins Studentenwohnheim zurück, diesmal als Betreuerin für mein Stockwerk. Dafür bekam ich drei Mahlzeiten am Tag und ein Einzelzimmer. Im Gegenzug musste ich im Sommer einen zweiwöchigen Kurs mit Workshops über Dinge wie Brandschutz, Essstörungen und Reanimation absolvieren und während des Studienjahres an sieben bis acht Nächten pro Monat ab sechs Uhr abends anwesend sein - für den Fall, dass ein Brand, Essstörungen oder ein jugendlicher Herzanfall auftraten. Das Einzige, was ich sonst noch zu tun hatte, war, eine Art Unterhaltungsprogramm auf die Beine zu stellen, um das Heim freundlicher und weniger institutionalisiert erscheinen zu lassen, zumindest für die Studienanfänger von meinem Stockwerk.
»Tut mir leid«, schrieb mir meine Mutter in einer E-Mail. »Ich weiß, wie sehr du dich auf eine eigene Wohnung gefreut hast.« Mir war nicht klar, ob das »Leid-Tun« im allgemeinen Sinn gemeint war und lediglich Mitgefühl ausdrücken sollte oder ob sie insbesondere ihr Verhalten - sprich: die Schlummerparty mit dem Dachdecker - bereute. Es war schwer zu erkennen, ob sie es überhaupt bereute. In den ersten paar Monaten, nachdem mein Vater in ein Apartment beim Plaza gezogen war, wirkte meine Mutter geradezu glücklich, obwohl der Dachdecker längst verschwunden war. Sie gab sich unbekümmert, was ihre Zukunft anging: Sie wusste nicht, ob sie im Haus bleiben oder in ein anderes Stadtviertel oder sogar in eine andere Stadt ziehen würde; sie wusste nicht, ob sie noch an der Schule unterrichten wollte. »Ich versuche, zu Atem zu kommen«, erklärte sie Elise und mir. »Ich will einfach ein bisschen abwarten, bevor ich irgendwelche Entscheidungen treffe.«
Aber als ich in den Sommerferien nach Hause kam, stand im Vorgarten das Schild einer Maklerfirma, obwohl meine Mutter nicht bereit zu sein schien, ihr Haus Interessenten vorzuführen. Elises Zimmer, das Arbeitszimmer meines Vaters und eines der Badezimmer waren mit einer Art Plastikfolie versiegelt worden - um an der Klimaanlage zu sparen, wie meine Mutter sagte. Ihr sei bewusst geworden, wie schlecht das für die Umwelt sei, erklärte sie. Aus demselben Grund lasse sie den Rasen wuchern, fuhr sie fort. All die Verschwendung von Wasser und Energie und Sprit für den Rasenmäher! Ich fragte sie halb im Scherz, ob sie deshalb auch aufgehört habe, Besen und Staubsauger zu benutzen. Und den Geschirrspüler. Während meiner ganzen Kindheit war meine Mutter eine vorbildliche Hausfrau gewesen. Sie hatte Brot gebacken. Sie hatte einen kleinen Fahnenmast neben der Haustür aufgestellt, mit Fahnen in verschiedenen Farben für jede Jahreszeit und jeden Feiertag. Aber als ich in jenem Mai nach Hause kann, wehte die Weihnachtsfahne mit ihrem verblassten, lächelnden Schneemann immer noch vor der Tür. Im Wohnzimmer wirbelte der Deckenventilator kleine Knäuel aus Staub und Hundehaaren auf.
Sie hatte einen Job bei DeBeck's bekommen, wo sie Accessoires verkaufte; es sei nur für den Sommer, sagte sie. Im Herbst würde sie wieder ihre Arbeit als Vertretung in der Schule aufnehmen und sich überlegen, was sie wirklich wollte. Zum Abendessen brachte sie Fastfood mit - hauptsächlich Truthahn-Sandwiches aus einem Sub-Shop im Einkaufszentrum -, aß ihre direkt aus der Folie, in die die Brote eingewickelt waren, und schob mir meines über den Tisch zu. Sie bestand darauf, so oft wie möglich mit mir zusammen zu Abend zu essen, aber es war schwierig, mit ihr zu reden, weil sie ständig das Thema wechselte und mir dieselbe Frage zweimal hintereinander stellte.
Ich hingegen bemühte mich, ihr überhaupt keine Fragen zu stellen. Zwar hätte ich gern gewusst, ob sie in den Dachdecker verliebt gewesen war und die Trennung von ihm - nicht die von meinem Vater - ihr das Herz gebrochen hatte, aber ich traute mich nicht, sie zu fragen. Sie hatte sich verändert, war offener geworden und neigte dazu, mir zu viel zu erzählen. Sie war auf eine Art verzweifelt, wie es mein Vater nicht war. Ich brannte darauf, zurück aufs College zu gehen, zu Tim, meinen Freundinnen, all meinen Plänen und meinem eigenen, nicht zerstörten Leben. Meine
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