Weil wir glücklich waren - Roman
konfrontiert. Meine Mutter sagte, das sei nicht nötig gewesen. Er beschrieb, wie sie sich in ihrem langen Wollmantel an den Esstisch gesetzt und dabei nicht besonders niedergeschmettert ausgesehen habe. Wenn überhaupt, sagte er, habe sie desorientiert gewirkt, wie sie mit ihren großen Augen die gestreifte Tapete und die Stuckleiste, die sie selbst ausgesucht und montiert hatte, anstarrte, als hätte sie sie noch nie zuvor gesehen. Mein Vater betonte mehrfach, dass sie mit der Mütze, die schief auf ihren Locken saß, und den von der Kälte geröteten Wangen ein wenig schrullig aussah. Er berichtete, dass sie nichts zu ihren Gunsten zu sagen gehabt habe. Er erzählte, dass er sie eine Weile angeschaut habe, während sie die Tapete anstarrte, sie und ihre laufende Nase, die sie nicht putzte, und dann nach oben gegangen sei, um seine Reisetasche zu holen, die - wie praktisch - immer noch gepackt war. Er trug sie nach unten, ging an meiner katatonischen Mutter vorbei zur Seitentür und in die Garage, wobei ihm das Herz, sagte er, wie ein Ziegelstein in der Brust gelegen habe.
Erst, als er bis zum Ende des Blocks gefahren war, fiel ihm ein, dass nicht er es war, der einen Fehler gemacht hatte. Er wollte immer noch duschen, und er wollte es nicht in einem Hotel tun. Er wollte in dem Haus duschen, für das er, um es abzuzahlen, über zwanzig Jahre lang mehr als sechzig Stunden in der Woche gearbeitet hatte. Deshalb fuhr er zurück und warf all das meiner Mutter an den Kopf, wobei sein Atem in der offenen Tür zur Garage Dampfwölkchen bildete.
Meinem Vater zufolge stimmte meine Mutter ihm zu. Oder zumindest sah sie ein, dass er im Recht war. Sie machte sich auf den Weg in ein Hotel. Als sie zum ersten Mal aufbrach, nahm sie nur einen Koffer mit. Fünf Minuten später kam sie zurück, um Bowzer und all seine Medizin zu holen, wie sie sagte aus Sorge, weil mein Vater nicht mit der komplizierten Betreuung des Hundes vertraut war. Mein Vater gab zu, dass sie bei beiden Abgängen gleichzeitig zerknirscht und würdevoll auftrat. Natürlich, fügte er ohne echte Bosheit hinzu, habe sie es sich zu diesem Zeitpunkt auch leisten können, zerknirscht zu sein. Sie war noch im Besitz ihrer Kreditkarten gewesen.
Am Tag danach, zweiundvierzig Meilen entfernt, hatte ich mein zweites Date mit Tim Culpepper. Wir rutschten auf Tabletts, die ich aus der Kantine hatte mitgehen lassen, verschneite Abhänge hinunter und knutschten dann eine Stunde lang in seinem Auto herum, die Heizung auf die höchste Stufe gestellt. Aus der kleinen Stereoanlage klang Nick Drake. Nachdem er mich abgesetzt hatte, war ich immer noch selig und lächelte so sehr, dass die Leute, die neben mir im Fahrstuhl standen, irritiert guckten. Als ich in mein Zimmer kam, klingelte mein Handy. Ich musste die kalten Tabletts unter einen Arm klemmen, um das Handy aus meiner Manteltasche zu ziehen. Es war meine Schwester, die aus San Diego anrief, um mir von dem schlafenden Dachdecker zu erzählen. Ich stand ganz still in der Tür, das Licht auf dem Gang hell, mein Zimmer noch dunkel, das Handy an mein Ohr gepresst. Meine Handschuhe waren nass vom Schnee.
»Bist du noch dran?«, fragte sie. »Veronica? Hast du mich gehört? Mom und Dad lassen sich scheiden.«
Die Tabletts fielen auf meine Stiefelspitzen und dann klappernd auf den Linoleumboden. Ich sagte: »Was? Nein, tun sie nicht.« Erst vor einer Woche hatte ich mit meiner Mutter gesprochen. Sie hatte sich Sorgen wegen meiner kratzigen Stimme und der verschnupften Nase gemacht. Obwohl es nur eine Erkältung war, hatte sie gewollt, dass ich zum Arzt gehe. Sie fand, dass ich nicht genug Schlaf bekam.
»Ich habe gerade mit Dad telefoniert«, sagte Elise. »Er hat schon mit seinem Anwalt gesprochen.«
Eine typische Elise-Antwort: unwiderruflich, kein Ausweg. Ich widersprach nicht mehr. Aber als sie mir von dem schlafenden Dachdecker erzählte, schüttelte ich stumm den Kopf und glaubte ihr kein Wort, weil ich nichts davon mit dem, was ich über meine Mutter wusste, vereinbaren konnte. Sie war kein leichtfertiger Mensch. Zwar lächelte sie häufig, aber nicht nur bei Männern. Sie lächelte alte Damen an, und sie lächelte Eichhörnchen an. Sie war keine Frau, die auf Teufel komm raus flirtete. Unser Nachbar Mr. Shunke pfiff ihr immer nach, wenn sie draußen im Garten arbeitete, aber sie verdrehte dann bloß die Augen. Sie trug bequeme Schuhe und las Zeitschriften, in denen hauptsächlich Kochrezepte standen. Und was mehr
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