Wein & Tod - ein Mira-Valensky-Krimi
Büro ist weniger repräsentativ als das, was ich bisher vom Haus gesehen habe: ein kleines Zimmer mit Blick auf den Hof, Ikea-Regale, Aktenordner, Boxen mit gestapelten Zeitschriften und Prospekten, ein Billigschreibtisch mit Computer, daneben Drucker, Fax.
Eva Berthold schreibt erstaunlich schnell. Als sie eine Pause macht und fragt, ob sie irgendetwas für mich tun könne – aber es seien ein paar Bestellungen hereingekommen, eine Viertelstunde brauche sie leider noch –, sage ich: „Sie machen das, als ob Sie es gelernt hätten.“
Sie lächelt. „Hab ich nicht. Ich bin gelernte Volksschullehrerin, aber damals gab’s das noch nicht mit den Computern. Was man braucht, kann man sich beibringen. Mit zwanzig hab ich meinen Mann kennen gelernt, mit einundzwanzig hab ich Christian bekommen, danach war ich noch drei Jahre arbeiten. Hans war Landmaschinenmechaniker beim Polterer zwei Orte weiter, die Landwirtschaft seiner Eltern hat nicht genug hergegeben, die Trauben sind an die Genossenschaft gegangen und zu Sektgrundwein verarbeitet worden. Meine Eltern“, lächelt sie, „waren von meiner Heirat nicht gerade begeistert. Sie haben auch eine kleine Landwirtschaft und waren stolz, dass es ihre Tochter bis zur Lehrerin gebracht hat – und dann heiratet sie einen Bauern und Mechaniker. Aber Hans hat immer schon eine Liebe zum Wein gehabt. Als Christian ein paar Jahre alt war, haben wir uns entschieden: Ich gebe den Beruf auf und wir steigen voll auf Weinbau um, die anderen Äcker sind verpachtet worden, dafür haben wir Weinflächen dazugepachtet, den Weinkeller ausgebaut. Wir waren jung und hatten eine Menge Schulden. Es ist bergauf gegangen, mit Schulungen und Marketing und allem, was man heute so braucht. Und dann kam die zweite Entscheidung, die, von der mein Mann gesprochen hat: Sind wir damit zufrieden, reduzieren wir sogar wieder, weil die Familie, die mithelfen kann, kleiner wird, oder bauen wir noch einmal aus? Jetzt sind wir nicht mehr so jung, sitzen wieder auf einem Berg Schulden, aber …“ Sie lächelt wieder: „Wir schaffen es, er hat sehr viel Kraft.“
Und sie wohl auch, denke ich mir. Kein Wunder, dass der Nachbar neidisch ist. Wenngleich es sich bei dem schlechten Verhältnis um eine über Generationen hinweg gehegte Feindschaft handeln dürfte.
Sogar Peter, der Fotograf, lässt sich von der Stimmung in den klirrend kalten nackten Weingärten anstecken. Mit knallroten Fingern wechselt er immer wieder das Objektiv, kniet auf dem gefrorenen Boden, um die beste Perspektive zu finden. Die Bertholds haben auf ihre Mützen verzichtet, Haare wehen im Wind, dürre Rebäste werden weggeschnitten, bis bloß rechts und links vom Stock jeweils ein Ast mit sechs Knospen – ein Strecker mit sechs Augen, sagt Berthold – stehen bleibt. Dazu zwei kleine Aststummel in der Mitte mit je einer Knospe, „Zapfen“. Die biegsamen rauschaligen Äste werden mit einer Maschine an den unteren Draht gebunden. Blitzblauer Himmel, klare Farben. „Mach keine Idylle draus“, rufe ich gegen den Wind zu Peter hinüber.
„Glühwein, das wär’ was“, ruft Peter gut gelaunt zurück.
Eine Stunde, dann zurück ins Warme. Ich fühle mich wie nach einem Tag Schifahren: ausgekühlt und erhitzt zugleich, vollgesogen mit Sauerstoff, angenehm müde. Wenn ich mir allerdings vorstelle, das täglich sechs, acht Stunden lang zu machen …
Ana serviert uns tatsächlich Glühwein, Hans Berthold ist nach Wien Wein liefern gefahren, gute Kunden versucht er weiterhin selbst zu betreuen. Eva Berthold bereitet die Präsentation für den Abend vor: Eine japanische Delegation hat sich angesagt, sie besuchen ein paar Betriebe in Österreich; wo sie danach einkaufen, wird sich herausstellen. Japan gilt als Zukunftsmarkt. Prospekte und Unterlagen auf Englisch müssen ausgedruckt werden. Man hat eine Erklärung zu den verfügbaren Weinen und eine Betriebsbeschreibung samt Verkaufskonditionen auf Japanisch in Auftrag gegeben. Sie soll den englischsprachigen Mappen beigelegt werden, aber noch ist der Text nicht da. Eva Berthold schaut immer wieder in die Mailbox. Können wirklich in einem Word-Dokument japanische Schriftzeichen erscheinen? Kann man das ausdrucken? Die japanische Studentin, die den Auftrag erhalten hat, sagt ja. Ich habe keine Ahnung. Wird wohl so sein.
Ich sitze am Küchentisch und nicke ein, schrecke wieder hoch, als mich eine kalte Hundeschnauze anstupst. Reblaus hat es geschafft, sich im allgemeinen Trubel ins Haus zu
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