Weine nicht, Prinzessin
es geschafft. Sie hat ihr erstes Versprechen gehalten. Sie hat den Wettbewerb gewonnen.
Nun muss sie sich entscheiden. »Die Harfe oder ich. Für beide ist in deinem Leben kein Platz.«
Aber die Entscheidung ist doch längst gefallen. Sie hat ein zweites Versprechen gegeben. Und das zu halten ist schwerer, als den Wettbewerb zu gewinnen, denn ein Leben ohne ihre Harfe kann sie sich genauso wenig vorstellen wie ein Leben ohne Henk.
13
Lara sitzt im Pfannkuchenhaus und langweilt sich. Es ist wie vor einem Jahr, als ihre Freundinnen in den Urlaub gefahren sind und sie alleine zurückblieb, weil ihre Eltern keine Zeit hatten. Im Sommer ist Hochsaison im Restaurant.
»Es kann nur besser werden«, hatten sie Lara im letzten Jahr versprochen. »Dann werden wir unseren USA-Urlaub nachholen.«
Ein leeres Versprechen. Das Einzige, was sich verbessert hat, ist die finanzielle Lage. Es gibt kaum freie Tische und die Eltern stellen für die Sommermonate zwei zusätzliche Kräfte ein. An Urlaub ist nicht zu denken.
Es ist wie vor einem Jahr und doch ganz anders. Lara ist allein, Freundinnen hat sie nicht mehr. Und Henk, der vor einem Jahr so ganz plötzlich in ihrem Leben auftauchte, ist auch verschwunden.
Seit Tagen wartet sie auf ein Lebenszeichen von ihm. Es ist nicht das erste Mal, dass er plötzlich verschwindet. Sie kennt das, dieses tagelange Schweigen und dann steht er wieder vor ihr.
Aber diesmal ist es irgendwie anders. Wenn sie die Augen schließt, sieht sie ihn wieder in der Stadthalle stehen. Der Applaus hüllte sie ein. Henk klatschte als Einziger nicht. Er sah sie nur an. In seinem Gesicht kämpften Bewunderung und Wut miteinander.
Hilflose Wut.
Wird er zurückkommen wie sonst?
Oder hat sie ihn für immer verloren?
Die Mutter eilt, drei Teller mit dampfenden Pfannkuchen balancierend, an ihr vorbei. Geschickt stellt sie die Teller vor den Gästen ab, hat für jeden ein freundliches Wort und eilt zurück.
Vor Lara bleibt sie stehen. »Möchtest du nicht auch einen Pfannkuchen essen, Kind? Du bist viel zu dünn.«
Lara schüttelt den Kopf. »Keinen Hunger!«
»Hast du dich mit Henk gestritten? Er war nicht mal beim Konzert dabei.«
»Doch, er war da, aber er musste gleich wieder weg. Er … er ist beruflich unterwegs … im Ausland … nur für ein paar Tage.«
»Armes Mädchen! Na, die Zeit geht auch vorbei.« Sie eilt in die Küche zurück.
Lara sitzt und starrt auf die Tür, die nach draußen führt. Jedes Mal, wenn sie sich öffnet, schlägt Laras Herz ganz laut. So hat es angefangen vor einem Jahr. Die Tür öffnete sich und herein kam Henk.
Aber heute sind es nur hungrige Touristen.
»Na, so traurig und alleine? Wo ist dein Märchenprinz geblieben? Dieser Henk oder wie der heißt.« Beate, die Kellnerin, schaut sie forschend an.
Lara zuckt mit den Schultern.
»Ich hab dir gleich gesagt, lass dich nie mit Männern ein, die kein Trinkgeld geben.«
»Er ist nur auf ’ner Dienstreise!«, sagt Lara wütend.
»Dienstreise? Ach so nennt man das. Na, hoffentlich findet er den Weg zurück zu dir.« Beate eilt weiter.
Lara reicht es.
Es ist schon schlimm genug, dass sie selber Zweifel hat. Da kann sie auf dumme Kommentare von Beate gut verzichten, vor allem, weil sie befürchten muss, dass Beate recht haben könnte.
Sie wandert durch die Straßen auf den Spuren ihrer ersten Begegnung mit Henk. Im Eiscafé bestellt sie Henks Lieblingseis: Zitrone und Schokolade. Sie lässt das Eis ganz langsam auf ihrer Zunge zergehen, sie spürt, wie es ihren Hals hinunterläuft und sich dann in ihrem Bauch ausbreitet.
Eis ist gefrorenes Wasser und Lara liebt Wasser, weil es für Sauberkeit sorgt. Innen und außen.
Henk! Wenn er doch nur da wäre!
Sie vermisst sein Lachen, seine zärtlichen Umarmungen.
Zu Hause breitet sie alle ihre Erinnerungen an ihn auf dem Bett aus. Da sind die CDs, die er ihr geschenkt hat, die Röcke und T-Shirts, die High Heels, die Spitzenunterwäsche. Es ist nur ein kleiner Teil der Kleidungsstücke, die Henk ihr geschenkt hat, die meisten liegen in seiner Wohnung.
Sie zieht den roten Lederrock an, den er so an ihr mag. Dann spaziert sie vor dem Spiegel auf und ab. Unter dem engen, fast durchsichtigen T-Shirt zeichnen sich ihre Brüste ab. Die Umrisse des großen H schimmern geheimnisvoll dunkel durch den Stoff.
»Du gehörst mir, Prinzessin. Für immer!«
Sie legt ihre Hand auf ihre Brust. Henk für immer und ewig.
Wo bist du, Henk?
Warum meldest du dich nicht?
Sie vermisst
Weitere Kostenlose Bücher