Weine nicht, Prinzessin
sie finden. Bitte, Sandra. Ich muss sie finden.«
Sandra weiß, dass Lara in ihrem früheren Leben Harfe gespielt hat und was die Musik ihr bedeutet. Sie schaut auf ihre Uhr. »Also gut, eine Stunde Zeit habe ich noch. Wo hast du sie gehört?«
»Unter der Dusche bei euch.«
»Bei uns unter der Dusche? Glaub mir, das ist der letzte Ort für Harfen! Okay, ich komm ja schon.«
Kurze Zeit später stehen sie vor dem Haus und schauen nach oben. Die Wohnung von Pieter befindet sich direkt unter dem Dach. »Die Dusche ist rechts nach hinten raus. Das Badezimmerfenster kannst du von hier aus nicht sehen«, erklärt Sandra.
Das Haus daneben ist ein kleines Museum. Hier kann man sich ansehen, wie ein reicher Amsterdamer Kaufmann namens Jan Hartman mit seiner Familie im 17. Jahrhundert gelebt hat.
Lara läuft jeden Tag daran vorbei, aber sie ist genau wie Sandra noch nie drin gewesen. Museen sind nicht ihr Ding.
Sandra schaut an dem schmalen Haus empor. »Wo soll denn hier bitte schön eine Harfe sein? Unterm Dach? Wie soll die da hochkommen? Das war nur ein wunderschöner Traum, Lara. Komm, wir gehen noch eine Schokolade trinken.« Sie dreht sich um. »Komm schon!«
Aber Lara bleibt stehen. »Siehst du den Balken da? Da kann man ein Seil dranmachen und die Harfe wird hochgezogen. So machen sie das seit Jahrhunderten. Sandra?«
»Du hast ja doch recht!« Sandra zeigt auf ein Plakat, das neben der Eingangstür hängt. Auf dem Plakat ist eine Harfe abgebildet, der Text ist auf Niederländisch.
»Was steht da? Ein Konzert? Ein Harfenkonzert? Sandra, was steht da?«
Sandra übersetzt:
»Harfenkonzert: Werke von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel in der versteckten Kirche Ons’ Lieve Heer op zolder – unser Herrgott unterm Dach.«
»Eine Kirche unterm Dach?«
Lara ist schon durch die Eingangstür verschwunden. Sandra zahlt brummelnd den Eintritt. »O Mann, ich hätte nie gedacht, dass ich mein kostbares Geld mal für ein Museum ausgeben würde.«
Sie klettern treppauf, treppab durch das verwinkelte Grachtenhaus, bis sie unter dem Dach auf die Kirche stoßen. 1661 hat der katholische Kaufmann Jan Hartman sie für sich und seine Glaubensbrüder eingerichtet, nachdem die herrschenden Calvinisten den Katholiken verboten hatten, ihren Glauben öffentlich zu praktizieren.
»Mindestens zweihundert Leute haben Platz«, sagt Sandra staunend und zeigt mit einer weiten Armbewegung auf die drei Geschosse, über die sich die Kirche erstreckt. »Und überall Engel mit Posaunen! Sogar eine Orgel gibt es, Lara … Lara?«
Aber Lara hat nur Augen für die Harfe, die neben dem Altar steht, bedeckt von einer braunen Hülle.
Langsam geht sie näher, streicht um die Harfe herum, berührt zärtlich die Hülle. Dann öffnet sie den Reißverschluss und zieht behutsam den Stoff von dem Instrument herunter.
»Mensch, Lara, lass das! Wir kriegen nur Ärger!«
Aber Lara hört nicht. Sie kann nicht hören.
Sie setzt sich auf den Hocker neben der Harfe, ihre Finger greifen in die Saiten. Zuerst eine Tonleiter rauf und runter. Sie hat lange nicht mehr gespielt. Die Töne verlaufen sich in der Kirche.
»Hör auf, Lara. Da kommt jemand.«
Aber Lara kann nicht aufhören.
Ihre Finger gleiten wie von alleine über die Saiten. Die Töne schweben durch den Kirchraum, werden von den Wänden zurückgeworfen und schweben weiter.
Der Hausmeister eilt in die Kirche, gefolgt von einer jungen Frau.
»Wat doe je!«, schreit er. »Ga weg! Onmiddellijk!«
Seine wütenden Worte gehen im Pssst der Zuhörer unter, die sich, angelockt von den himmlischen Klängen, eingefunden haben, um zu lauschen. Auch die junge Frau legt den Zeigefinger an den Mund und hält den Hausmeister am Ärmel fest.
Laras Finger schicken immer neue Töne auf die Reise, bis der letzte Ton leise verklingt.
Alle bleiben regungslos stehen. Niemand will den Zauber zerstören. Dann fängt der Erste an zu klatschen, die anderen folgen.
Lara lächelt, steht auf und verbeugt sich leicht.
Die junge Frau, der die Harfe offenbar gehört, kommt zu ihr, in ihrem Schlepptau der Hausmeister. »Je bent een kunstenaar!«, sagt die junge Frau zu ihr. »Waar heb je dat geleert?«
»Ze is en schaamteloze person!« Der Hausmeister packt Lara am Arm. »Eruit! Ik zal nooit meer ziens!«
Lara schaut beide verstört an. Sie versteht kein Wort.
»Er will, dass du verschwindest und dich nie mehr blicken lässt«, übersetzt die junge Frau und lächelt Lara dabei an. »Keine Sorge, der
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