Weine nicht, Prinzessin
wäre.
Als der letzte Ton in der Kirche verhallt, herrscht lange Zeit betroffenes Schweigen, dann fangen die Besucher, die stehen geblieben sind, um ihr zuzuhören, an zu klatschen, erst zögerlich, dann immer stärker. Die junge Frau winkt ihr begeistert zu.
Lara lächelt sie an.
Sie schaut auf die Uhr. Es ist Zeit zu gehen, bevor Henk wieder misstrauisch wird. Schon in zwei Tagen verlässt das Orchester und mit ihnen die Harfenistin Amsterdam.
Henk liegt im Bett, als sie die Wohnungstür öffnet.
»Komm her, Prinzessin!«, sagt er.
Kaum hat sie sich auf die Bettkante gesetzt, da packt er sie an den Haaren. Er hat sie lange nicht mehr geschlagen, aber heute kennt seine Wut keine Grenzen. Heute ist es ihm egal, wo er sie trifft. Arme, Oberkörper, ihre Brüste, ihr Gesicht. Nichts ist vor seinen brutalen Fäusten sicher.
»Ich oder die Harfe!«, schreit er sie an. »Hältst du mich für blöd? Du hast gelogen!«
Lara liegt wimmernd am Boden. »Ich gehe nie wieder hin. Ich verspreche es dir!«
»Versprechen? Ich scheiß auf deine Versprechen!«
Hat Sandra sie verraten? Sie war heute Morgen so nervös. Hat immer zur Tür geschaut. Lara wird ganz schlecht bei dem Gedanken.
»Was wolltest du mir erzählen? Dass du wieder am Kanal gesessen hast? Das habe ich gestern schon nicht geglaubt. Ich bin dir heute gefolgt. Erst frühstücken mit Sandra und dann in die Kirche. Du bist ein verlogenes Miststück!« Ein letztes Mal trifft seine Faust ihr Gesicht.
Als er endlich geht, nimmt er Laras Wohnungsschlüssel mit und schließt sie ein.
Sie liegt lange regungslos da, während die Schmerzen in Wellen über sie hinwegrollen. Dann humpelt sie zum Waschbecken, wäscht sich das Blut aus dem Gesicht. Ihr rechtes Auge hat auch einen Schlag abbekommen, ist geschwollen und blau angelaufen. Noch nie hat er sie ins Gesicht geschlagen, noch nie war er so wütend.
Lara humpelt zum Fenster hinüber und schaut hinaus. Draußen scheint immer noch die Sonne. Die Touristen laufen unten vorbei, schauen hoch und machen ihre Fotos von idyllischen Altstadthäusern. Draußen ist die Zeit stehen geblieben.
Den ganzen Tag und Abend bleibt sie alleine. Zum ersten Mal ist Lara darüber nicht sehr traurig. Sie legt sich ins Bett und schaltet den Fernseher an.
Auch in dieser Nacht kommt Henk nicht nach Hause.
Im Kühlschrank sind noch genügend Reste, auch für den nächsten Morgen. Und großen Hunger hat sie sowieso nicht. Mit einem Stück Brot setzt sie sich wieder ans Fenster. Das blaue Auge hat auch einen Vorteil. So wollen Henks Freunde sie bestimmt nicht kennenlernen.
Lara öffnet das Fenster und hält ihr Gesicht in die Sonne. Die Schläge gestern, sie haben ihr unerwartete freie Tage geschenkt.
Lara lächelt glücklich und schließt die Augen. In ihrem Kopf schweben leise Töne, werden zu einer Melodie. Händel. Harfenkonzert B-Dur op. 4 Nr. 6. »Ihr« Stück, mit dem sie den Wettbewerb gewonnen hat.
Es ist eine Ewigkeit her.
Laras Finger fangen an zu spielen. Töne aus Luft schickt sie in den Himmel hinaus.
Der letzte Ton verklingt, es wird geklatscht.
Lara öffnet die Augen und lauscht.
Da beginnt die Harfe erneut zu spielen. Das Larghetto aus dem Konzert.
Lara beugt sich weit hinaus, so weit, dass sie beinahe das Gleichgewicht verliert.
Die himmlischen Töne kommen aus dem großen Fenster der Kirche, das heute weit offen steht. Zwanzig Meter sind es von ihrem Fenster bis dahin. Die einzige Verbindung ist ein schmales Brett, das an der Wohnung von Pieter vorbei bis zum Kirchenfenster verläuft. Es ist gerade so breit, dass man einen Fuß darauf setzen kann.
Lara zögert. Zehn Meter sind es bis zur Straße unten. Ein falscher Tritt und sie stürzt ab.
Die himmlischen Töne umkreisen sie, als wollten sie ihr Mut machen. Lara setzt einen Fuß auf das schmale Brett und prüft, ob es hält.
»Lara!«
Sie zieht den Fuß zurück und schaut hinunter.
Sandra steht auf der Straße und winkt ihr zu. »Warte, ich komme!«
Sie verschwindet im Hauseingang. Die Leute unten bleiben stehen und schauen hoch. Lara tritt ins Zimmer zurück und späht vorsichtig nach unten, sodass sie niemand mehr sehen kann. Sind Henk oder Pieter unter den Zuschauern?
Sandra steckt ihren Kopf durch das Nachbarfenster.
»Ich habe beim Frühstück auf dich gewartet. Hat er dich eingeschlossen?«
»Seit gestern ist er weg. Hörst du die Harfe?«
»Traust du dich hier rüberzukommen? Es ist höchstens ein Meter.«
Lara stellt ihren Fuß auf das
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