Weine ruhig
Gesicht brannte vor Befriedigung und Verlegenheit zugleich.
Die Lehrerin der dritten Klasse schubste Jan zur Tür, wir standen ihr zu Ehren wieder auf, und als die beiden weg waren, ging der Unterricht normal weiter.
Am Ende des Schultages packten wir unsere Sachen zusammen, zogen unsere Mäntel an, setzten die Mützen auf, und nachdem wir uns im Chor verabschiedet hatten, verließen wir paarweise das Klassenzimmer. Draußen gingen dann alle ihrer Wege. Ich ging immer zusammen mit Yehudit, meiner Freundin und Nachbarin. Aber an jenem Tag tauchte plötzlich Jan zwischen zwei Häusern auf und rannte auf uns zu. Wir hatten schreckliche Angst. In der einen Hand hielt er einen
Stock, den er drohend hin und her schwang, und schrie: »Stinkendes Judenmädchen, ich werde dir zeigen, was es heißt, mich vor der ganzen Klasse bloßzustellen. In der Schule bist du richtig gut, aber jetzt wollen wir doch mal sehen, wie gut du ohne eine Lehrerin bist, die dich beschützt.«
Er holte mit dem Stock weit aus und schlug mir damit auf die Schulter. Ein scharfer Schmerz durchfuhr meinen dünnen Körper, und ich fiel nach hinten. Wenn mein dicker Mantel den Hieb nicht gemildert hätte, wäre ich schwer verletzt worden. Wir schrien auf und rannten los, aber Jan war schneller, und wieder landete sein Stock auf mir, diesmal auf meinem Kopf. Glücklicherweise kam ein Erwachsener vorbei, und Jan rannte weg.
Ich kam weinend und grün und blau geschlagen nach Hause und erzählte meinen Eltern, was vorgefallen war. Mein Kopf tat sehr weh, aber am meisten schmerzte mich, als »stinkendes Judenmädchen« bezeichnet worden zu sein. Es war das erste Mal, dass jemand etwas Derartiges zu mir gesagt hatte. Meine Eltern und die ganze Gemeinde waren sehr aufgebracht wegen des Vorfalls, glaubten aber, es handele sich um einen Einzelfall. Die meisten Leute zogen es vor, die Angelegenheit zu vergessen. Meine Eltern beschwerten sich über den Jungen beim Rektor, und damit war für sie die Sache erledigt.
Noch lange nach diesem Zwischenfall hatte ich Angst, wenn ich von der Schule nach Hause ging. Ich sah mich ständig um, weil ich fürchtete, dass Jan mir wieder auflauern und mich schlagen würde. Aber die Verwarnung, die ihm der Rektor erteilt hatte, wirkte, und er ließ mich in Ruhe. Ich besuchte die staatliche Grundschule bis 1939, und es kam immer häufiger vor, dass wir jüdischen Kinder von christlichen Mitschülern beleidigt wurden.
Im Schuljahr 1939/40 wurden alle jüdischen Lehrer der staatlichen Schulen entlassen. Ein junger, aber hervorragender Erzieher, der aus Michalovce stammte und jahrelang in einer anderen Gemeinde unterrichtet hatte, erkannte die Zeichen der Zeit. Er kehrte in unsere Stadt zurück und initiierte beherzt die Gründung einer jüdischen Schule. Die aufgeklärten Mitglieder der Gemeinde unterstützten ihn, doch die staatlichen Behörden, die schon unter dem Einfluss des deutschen Antisemitismus standen, verweigerten ihm jegliche Unterstützung. Also fand sich zunächst kein passendes Gebäude, und es mangelte an der Grundausstattung. Es gab nicht genügend ausgebildete Lehrer in der Gemeinde, da einige zur Armee eingezogen worden waren, so dass Lehrer aus entfernten Gegenden angeworben werden mussten. Aber das größte Hindernis waren die Auseinandersetzungen innerhalb der jüdischen Gemeinde über den Schultyp: Sollte es gemischte Klassen geben? Wie sollte die Trennung zwischen Religionsunterricht und weltlichem Unterricht aussehen?
Die Eröffnung der Schule verzögerte sich durch den Einmarsch der Deutschen in Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. Doch dank der Zähigkeit des jungen Erziehers (und künftigen Direktors) konnten die meisten Hindernisse überwunden werden, und schließlich wurde in Michalovce eine unabhängige jüdische Schule gegründet.
Die jüdischen Kinder wechselten daraufhin von den staatlichen Schulen in die neue jüdische Einrichtung. Wir bemerkten sofort die veränderte Atmosphäre: Schlagartig waren wir von unseren Ängsten und Beklemmungen befreit. Unsere Freude war groß, trotz der miserablen äußeren Bedingungen. Die neue Schule stärkte unser jüdisches und zionistisches Be-wusstsein. Es dauerte nicht lange, dann wurden alle jüdischen Schüler vom Besuch der staatlichen Schulen ausgeschlossen, und es war nur unserem vorausschauenden Direktor zu verdanken, dass es eine Schule gab, die sie besuchen konnten. Die Mehrheit der Juden empfand diese Trennung nicht als Affront, vielmehr
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