Weinen in der Dunkelheit
Meistens trugen wir Einheitssachen oder ausgewaschene Kleidung von den Großen. Ich machte mir nicht viel aus meiner Kleidung, am liebsten lief ich im Trainingsanzug herum, der mit seinen weiten Hosenbeinen unmöglich aussah. Ich kletterte auf Bäume, baute mit einigen Jungs Höhlen und fühlte mich dabei sehr wohl. Mit der Ankunft von Frau Otto änderte sich mein Äußeres. Ich trug helle Kleider, neue Schuhe und kam mir richtig schön vor.
Eines Tages, als Frau Otto bei uns im Gruppenraum stand, sagte sie zu mir:
»Es wird Zeit, daß du einen BH trägst.«
Mir war das vor den Mädchen peinlich, denn alle blickten plötzlich auf meine Brust. Ich fand nichts Besonderes an ihr. Natürlich wußte ich, daß ich mehr hatte als die anderen, aber warum nun gleich einen BH?
Der Weg zur Wäschefrau schien kein Ende zu nehmen. Als ich endlich dort landete, stotterte ich herum, bis sie wußte, was ich wollte. Da grapschte sie an meine Brust, tastete sie ab und sagte:
»Für diese kleinen Dinger brauchst du keinen BH.«
Das Abtasten war mir unangenehm, aber noch mehr schämte ich mich, als sie mir trotzdem einen rosafarbenen BH in die Hand drückte.
Sie vergaß allerdings, mir zu zeigen, wie man ihn anlegte.
Mit dem Ding in der Hand rannte ich in meine Gruppe, triumphierend hielt ich es hoch und sagte:
»Seht mal, was ich hier habe.«
Staunend faßten alle Mädchen den »Rosaroten« an, einige hielten ihn an ihre Brust, er war allen zu groß.
»Los, bind ihn mal um!«
Ich schlüpfte mit den Armen durch die Träger, und die Mädchen machten den Verschluß zu. Aber wie sah das aus. Der BH saß durchaus nicht dort, wo er hingehörte; ich lachte mich halb tot. Wie ein Sabberlatz hing er mir um den Hals. Wir zogen und schoben an ihm herum, bis er endlich dort saß, wo er sein sollte. Ich fühlte mich mit dem Ding wie in einer Zwangsjacke. Beim Versteckspielen rutschte er mir dann wieder über die Brust und um den Hals. Ich suchte ein Gebüsch, wo mich keiner sah, und schnallte das Ding ab, steckte es in die Tasche meines Kleides und fühlte mich sofort befreit. Später erfuhr ich, daß die Träger verstellbar waren, aber ich hatte ihn ja ohne Gebrauchsanweisung erhalten!
Frau Otto mußte nach den Sommerferien eine andere Gruppe übernehmen. Sowohl sie als auch wir waren sehr traurig, als sie uns verließ. Der Grund war die folgende Geschichte.
Gefährliche Bootsfahrt
Jedes Jahr in den Sommerferien verreisten wir. Ich kannte den Osten von Kap Arkona bis zum Fichtelgebirge. Wir schliefen in Schulen, Heimen oder in Zelten. In diesem Jahr fuhren wir nach Goldberg an den Goldberger See. Der Zeltplatz lag im Wald und war nur für Kinder aus unserem Heim. Zehn Zelte standen halbkreisförmig um einen Platz mit einer Fahnenstange, den Appellplatz.
In jedem Zelt schliefen zwanzig Kinder und ein Erzieher. Allerdings hatten die Erzieher noch ein eigenes Zelt. Auch die Küchenfrauen fuhren mit und kochten für uns in Gulaschkanonen das Essen.
Über eine alte Holztreppe, die einen Hang hinunterführte, erreichten wir den See. Ein grauhaariger Alter betrieb am Schilfufer einen Ruderbootsverleih. Wir überredeten Frau Otto, mit uns Boot zu fahren. Sie konnte einfach nicht nein sagen und mietete zwei Boote. In einem hätten wir nicht alle Platz gehabt.
Ich saß mit sieben Mädchen ohne Frau Otto im Boot. Vom Rudern hatten wir keine Ahnung, wir drehten uns nur im Kreis. Jede wollte es besser wissen, und so schrien wir wild durcheinander: »Vorwärts, Achtung, rückwärts!«
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel, aber wir achteten nicht weiter darauf, lachten und blödelten herum. Da verloren wir eine Petsche.
Frau Otto trieb mit ihr em Boot weit von uns. Wir versuchten mit den Händen zu rudern, um an die verlorengegangene Petsche heranzukommen. Ein starker Sturm mit Regen kam auf, und dann brach ein richtiges Unwetter über uns herein. Die Petsche trieb mit den Wellen davon, bis wir sie nicht mehr sahen. Nun gerieten wir in P anik Jenny saß in unserem Boot und ihre Zwillingsschwester in dem anderen. Sie schrie und heulte aus Angst um sie. Wir versuchten, sie zu beruhigen, es nutzte jedoch nichts, sie hockte auf dem Boden des Kahns und jammerte vor sich hin. Der Wind änderte plötzlich seine Richtung und trieb die Petsche direkt auf uns zu. Erleichtert zogen wir sie an Bord und ruderten zu dem Boot mit Frau Otto. Weit hinter der Mitte des Sees, fast schon am anderen Ufer, trafen die Boote endlich zusammen. Wir hielten sie in der
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