Weinland & Stahl
geirrt haben", sagte Schwester Mariah, als sie den gleichermaßen beunruhigten wie fragenden Blick Rebeccas auf sich spürte.
"Hast du jemanden gesehen?" hakte Rebecca nach. Allein das vage Beben in Mariahs Stimme verriet ihr, dass keineswegs alles in Ordnung war. Vielleicht hatte sich jemand in das Kloster eingeschlichen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Junge Burschen nahmen gelegentlich den weiten Weg von Bangor oder einem der umliegenden Orte auf sich und machten sich einen Spaß daraus, den Konvent zu 'besuchen'. In der Hoffnung, hier ihre tierischen Triebe befriedigen zu können...
Der bloße Gedanke widerte Schwester Rebecca an.
"Nein. Mir war nur einen Augenblick lang – nicht gut", bemühte Schwester Mariah sich um eine harmlose Ausflucht, mit der sie die Unterredung zu beenden hoffte. Ohne sich selbst über die Gründe im klaren zu sein, wurde ihr das Gespräch unangenehm, beinahe lästig.
"Geht es dir wieder besser?" fragte Rebecca fürsorglich. "Vielleicht solltest du dich etwas ausruhen."
"Die Ehrwürdige Mutter sieht es nicht gern, wenn wir unsere Arbeit vernachlässigen oder gar vorzeitig beenden", wandte Mariah ein.
"Sie wird Verständnis haben", meinte die nur wenig ältere Nonne mit beruhigendem Lächeln.
"Mir ist kalt", sagte die Jüngere. Als wären ihre Worte der Auslöser gewesen, erschauerte sie. Und ein weiteres Mal, als ihr gewahr wurde, dass das Frösteln nichts mit der leichten Brise zu tun hatte, die durch den Garten strich, und auch nichts mit der schwindenden Wärme der Herbstsonne, die fast schon die in Farben getauchten Wälder im Westen berührte.
Was Schwester Mariah frieren ließ, verbarg sich tief in ihr. Und es war weniger das
Etwas
selbst, das die fortwährenden Schauder gebar, als vielmehr das
Wissen
darum; die Erkenntnis,
dass
da plötzlich etwas war.
"Dann lass uns hineingehen", sagte Schwester Rebecca, so leise, als fürchtete sie, es könnte jemand zuhören. "Um dich zu wärmen", setzte sie mit einem Lächeln hinzu, hinter dem sich ein Hauch jener Wärme verbarg, die sie meinte.
Schwester Mariah schlug die Augen nieder, und um ihre Lippen spielte ein feines Lächeln. Sie wusste, wovon Rebecca sprach, und ihre Geste signalisierte wortloses Einverständnis.
Ja, vielleicht würde
das
ihr helfen, die seltsame Kälte in sich für eine Weile zu vergessen, und vielleicht war diese besondere Art der Hitze sogar in der Lage, sie vollends auszutreiben. Es war so mächtig, dieses Feuer, das sie zusammen zu schüren vermochten, dass ihm nichts widerstehen konnte. Bislang hatte es noch alles getilgt, was Schwester Mariah je an unangenehmen Dingen in sich gespürt hatte.
Die junge Nonne ließ einige Minuten verstreichen, ehe sie Schwester Rebecca in das trutzige Gebäude, das sich nicht in die liebreizende Landschaft ringsum einfügen wollte, nachfolgte.
An der Tür verhielt sie noch einmal und sah zurück, nahm die Bilder friedlicher Idylle in sich auf, als müsste sie sie noch einmal ganz deutlich sehen, um sie in ihrer Erinnerung bewahren zu können.
Denn beinahe im gleichen Maße wie jenen Frost, der ihr Innerstes wie in eine Kruste schloss, spürte Schwester Mariah, dass in
Saint Catherine's
schon bald nichts mehr so sein würde wie bisher...
Dem Raum fehlte jedes Fünkchen Behaglichkeit.
Die Wände bestanden aus dunklem Bruchstein, der Boden aus kaltem Fels. Eine Ahnung von Licht spendeten allein eine Handvoll fast armdicker Kerzenstumpen, deren Flammen in der feuchten Luft mühsam ums Überleben kämpften.
Weder Mariah noch Rebecca stören sich daran. Dampfschwaden füllten den Raum wie Nebel und verhüllten alles umher vor den Blicken der beiden Nonnen.
Nichts konnte sie ablenken. Sie fühlten sich wie herausgelöst aus der wirklichen Welt. Der Dunst schuf Grenzen um die kleine Insel, auf die sie sich zurückgezogen hatten und auf der Zwänge und Konventionen außer Kraft gesetzt waren.
Als hätten sie mit ihren Roben auch alle Keuschheit abgelegt, die sie bei ihrem Eintritt in
Saint Catherine's
gelobt hatten.
Hier und jetzt zählten nur sie – und was mit ihnen geschah, was sie mit sich und miteinander
geschehen ließen
.
An dem dunklen Rohr, das sich im Winkel zwischen Wand und Decke entlang zog, saßen fünf rostige Brausetassen, die durch den Dampf wie seltsame Geschwüre aussahen. Der Wasserdruck war kaum als solcher zu bezeichnen, das Nass rieselte nur aus den kleinen Löchern und legte sich wie feiner Nieselregen über die beiden
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