Weinrache
auf eine Antwort. »Was meinst du, Norma?«
»Warum nicht«, sagte sie ausweichend. »Wenn sich alles geklärt hat.«
Beunruhigt legte sie auf. Sie musste noch einmal in Arthurs Wohnung. Am besten sofort! Nach einem Blick auf Leopold, der nicht so aussah, als wollte er seinen Platz räumen, verließ sie das Büro. Dieses Mal nahm sie den Wagen. Vom Rheinufer bis in die Taunusstraße brauchte sie etwa 15 Minuten. Kurz nach ein Uhr erreichte sie den Innenhof hinter dem Laden. Sie stellte den Ford auf Arthurs Parkplatz und stieg die Außentreppe zur Wohnung hinauf.
Nichts wies daraufhin, dass Arthur zurückgekehrt wäre. Trotzdem drückte sie drei Mal kräftig auf die Klingel und lauschte, bevor sie aufschloss. Den Schlüssel hatte sie noch vom Tag zuvor in der Tasche. Wieder war Post gekommen. Die Briefe lagen hinter der Tür auf dem Fußboden verstreut; unten drunter der aktuelle ›Kurier‹. Jede Menge Werbung, wie Norma beim Durchsehen feststellte, und dazu das Schreiben einer Kölner Galerie. Und ein Brief von einem Reisebüro. Bis auf diesen Umschlag packte Norma alles zu dem Stapel auf der Biedermeierkommode. Unglaublich, wie viel Papier sich in sechs Tagen ansammeln konnte. Früher hatten Norma und Arthur, wenn sie verreisten, die Zeitung abbestellt, und die Frau, die einmal pro Woche zum Putzen kam, gebeten, alle zwei Tage nach der Post zu sehen. Aus welchem Grund hätte Arthur diese Gewohnheit ändern sollen? Dass dieses nicht geschehen war, erschien ihr als ein weiteres Indiz dafür, dass er nicht freiwillig verschwunden war.
Was mochte sich inzwischen an Anrufen angesammelt haben? Arthurs Arbeitsplatz befand sich im Wohnzimmer, in einem Erker zur Straße. Der Schreibtisch war kein antikes Stück, sondern modern und zweckmäßig: eine Glasplatte über einem Edelstahlrahmen, darauf zwei Ablagekörbe mit wenigen Papieren und das Telefon. Der Stuhl war neu: viel Chrom und schwarzes Leder, elegant und vermutlich teuer. Und urbequem. Sie lümmelte sich hinein, legte den Brief vom Reisebüro auf den Schreibtisch und nahm das Telefon auf. Wenn Arthur den Zahlencode der Mailbox nicht geändert hatte, könnte sie die Nachrichten abfragen. Sie hatte Glück: Es galt nach wie vor ihr Geburtstag, wovon sie ein wenig gerührt war. Allerdings lag nur eine Nachricht vor: Das Autohaus teilte mit, dass der Wagen zum Abholen bereit sei. Norma ließ sich verbinden. Ihr Mann sei für eine Weile verreist. Ob der Wagen noch in der Werkstatt bleiben könne? Ein paar Tage seien kein Problem, versicherte der Meister.
Die Ablage kam als Nächstes an die Reihe. Arthur bewahrte die Geschäftspapiere unten im Laden auf; diese Briefe mussten privater Natur sein. Norma erwartete nicht, etwas Besonderes zu finden, und so war es auch. Versicherungsbelege, Rechnungen. Nichts dabei, das ihr einen Hinweis auf irgendetwas Ungewöhnliches geliefert hätte.
Blieb noch der Brief. Nicht einmal, als zwischen ihnen alles stimmte, hatte sie ungefragt seine Post geöffnet. Zögernd drehte sie den Umschlag hin und her. Sie kannte das Reisebüro. Dort hatten sie die Flüge nach Kolumbien gebucht. Warum sollte sie es nicht tun? Vermutlich war es zu Arthurs Bestem. Sie schnappte sich den Brieföffner und schlitzte den Umschlag auf.
Sie überflog die Zeilen. Sehr geehrter Herr Tann, vielen Dank für Ihr Vertrauen … und so weiter. Anbei zwei Tickets Frankfurt/Main – Bogotá, hieß es. Abflug am Freitag. Ausgestellt auf Herrn Arthur Tann und Frau Diane Fischer.
Sie warf einen zweiten Blick auf das Datum. Morgen schon, dachte sie zornig, morgen wollte er fliegen. Mit ihr! Genau eine Woche nach seinem Verschwinden. Norma fühlte, wie die Wut in ihr aufstieg. Wie Wasser in einem Topf, das langsam zum Sieden kam, bis es sprudelnd überkochte. Sie hatte nicht erwartet, dass es sie so sehr treffen würde.
Ausgerechnet Diane!
13
Es passte einfach nicht zusammen.
Sie blieb am Schreibtisch sitzen und rollte rastlos in Arthurs Edelsessel über das Parkett. Dann schrieb sie Namen auf ein Blatt Papier, malte Kringel darum und zog Pfeile dazwischen: Arthur. Fischer. Diane. Eine klassische Dreiecksgeschichte. Sie selbst war längst raus aus dem bösen Spiel.
Welche Fakten hatte sie? Fischers hitzige Eifersucht, zum Beispiel. Sie erinnerte sich an einen Ehekrach, eine peinliche Begebenheit bei einem Essen, als Diane den Bogen durch einen Flirt mit dem italienischen Kellner überspannte. Was wusste sie über Diane? Dass hinter der Fassade der einfältigen
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