Weinrache
Papiertüte die Spitze und ließ eine Prise Zucker in den Espresso rieseln. »Das haben Sie mich in der Nacht bereits gefragt. Was sollte ich gesehen haben? Die Sicht war schlecht bei dem Gewitter. Ich habe mich auf die Straße konzentriert. Mir ist nichts weiter aufgefallen.«
Die Mädchen wurden forscher. Kichernd und kreischend bewarfen sie den Jungen mit den vollen Wasserbechern. Der Kleine stürmte auf den Tisch zu, erhoffte sich wohl männlichen Beistand, rempelte dabei aber gegen Norma, die gerade die Tasse ansetzte. Sie erhielt einen Stoß, und der Milchkaffee schwappte über und platschte auf Sundermanns Einkaufstüte. Schaumkronen benetzten den Anzug, und die Flüssigkeit bahnte sich ihren Weg zwischen die schwarzen Falten.
Blitzschnell erkannte der Junge, hier durfte er nicht mehr auf Solidarität hoffen, und rannte davon. Bevor Sundermann etwas tun oder sagen konnte, schnappte Norma die Tüte und eilte in das Café und zu den Toiletten, um zu retten, was zu retten war. Der durchschlagende Erfolg blieb aus.
»Da ist auf die Schnelle nichts zu machen«, erklärte sie, als sie zum Tisch zurückkehrte.
»Sie können nichts dafür. Die kleinen Biester sind schuld!«
Er wies auf die Mädchen, die friedlich im Brunnenwasser plantschten, als hätte es dort keinen Jungen gegeben.
»Ich übernehme das«, bot Norma an. »Ich kenne eine Reinigung, die das Problem schnell erledigen wird. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, können Sie den Anzug heute Nachmittag in meinem Büro abholen. Vielleicht fällt Ihnen bis dahin doch noch eine Beobachtung ein. Es ist sehr wichtig für mich!«
Er würde über die Fahrt nachdenken, versprach er. »Wo liegt Ihr Büro?«
»In Biebrich. Hier, meine Adresse. Das Büro ist im selben Haus.«
Sie hatte nur noch private Visitenkarte dabei.
Er steckte die Karte ein. Er habe ohnehin noch eine Weile in der Stadt zu tun. Ob es ihr gegen fünf Uhr passen würde?
12
Ilkas Antworten lagen wie versprochen im elektronischen Postfach, als Norma an den Schreibtisch zurückkehrte. Unterwegs hatte sie Sundermanns Anzug in der Reinigung abgegeben. Er sollte bis zum Nachmittag wie neu sein, lautete die Auskunft. Norma vertiefte sich in Ilkas Anleitungen und machte sich danach entschlossen an die Arbeit. Langwierige Recherchen im Internet gehörten ganz und gar nicht zu ihren bevorzugten Aufträgen. Anstatt es sich im Büro gemütlich zu machen, harrte sie lieber bei Wind und Wetter auf einem Wachposten oder im Fiesta aus. Diese Vorliebe hatte sich früh gezeigt, bereits während der Polizeiausbildung, und sie war ihr treu geblieben. So dachten nicht alle Kollegen. Milano zum Beispiel hatte gelegentlich einen Bericht in ihrem Namen getippt, wenn sie ihn im Gegenzug mit Kaffee versorgte und Laufereien erledigte. Von Wolfert hätte sie gar nicht sagen können, auf welche Weise er arbeiten wollte. Er war nicht der Typ, der die Arbeit tauschte oder abgab. Jede ihm anvertraute Aufgabe erledigte er mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit. Gefühle von Abneigung oder Freude wusste er dabei geschickt zu verbergen.
Norma sammelte die abschweifenden Gedanken und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder der Webseite mit Silberleuchtern und Kerzenhaltern, deren Preise sie auskundschaften und in eine Tabelle übertragen sollte. Als das erledigt war und sie der Auftragsliste ein weiteres Häkchen anfügen konnte, hatte sie sich eine Pause verdient. Mit einem Becher frisch gebrühten Tee trat sie ans Fenster heran. Während sie auf der Straße nach Leopold Ausschau hielt, kamen ihr wieder Wolfert und Milano in den Sinn. Sie waren gute Polizisten. Vielleicht sogar hervorragende Polizisten. Und sie hatten gezielte Fragen nach Arthur gestellt. Eine Entführung hielten beide für unwahrscheinlich. Überhaupt war auffällig, dass es ihnen weniger um sein Verschwinden ging, als um sein Verhältnis zu Moritz Fischer. Und zu Diane Fischer. Und das war es, was ihr am meisten zu denken gab. Lief etwas zwischen Diane und Arthur? Vermuteten die lieben Ex-Kollegen möglicherweise eine Dreiecksgeschichte hinter dem Mord? Obwohl sie es nicht offen aussprachen, ließ die Art ihrer Fragen erkennen, dass Wolfert und Milano eines nicht für ausgeschlossen hielten: Der Mörder in der Mönchskutte könnte Arthur gewesen sein.
Und das Motiv? Hass gegen Fischer, der ihn ebenso wie Bruno gelinkt hat, mit welcher Bösartigkeit auch immer? Oder ein Mord aus Eifersucht? Wegen Diane? Diese Spur schienen Milano und Wolfert im Augenblick zu
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