Weinrache
übersichtlich und verständlich. Sie hatte nur wenige Fragen, die sie sofort abschickte.
Die Zeit, bis die Antwort kam, wollte sie nutzen und Brunos Geld zur Bank bringen. Sie nahm den Bus in die Innenstadt und stieg in der Luisenstraße aus. Das Guthaben und das zu erwartende Honorar von Ilka machten sie übermütig, und sie ließ sich von den ausgestellten Kleiderständern in ein Geschäft locken. Kurz entschlossen griff sie sich einen leichten Pullover für die kommenden Septembertage. Sie stellte sich an der Kasse an, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Der Mann vor ihr zahlte bar.
»Viel Freude mit dem Anzug!«, wünschte ihm die Dame hinter dem Tresen.
Als er nach der Tüte griff und sich umwandte, stand er Norma genau gegenüber. Auge in Auge. Er war kaum größer als sie, kräftig gebaut, die dunklen Haare aus der Stirn gekämmt. Die Überraschung war auf beiden Seiten.
Er fasste sich schnell. »Ach, Sie!«
Norma grüßte ihn mit einem Nicken und reichte der Kassiererin den Pullover. Sie bezahlte und nahm die Tragetasche an sich. Der Mann wartete auf dem Gang: Konstantin Sundermann, 35. Wohnhaft in Hünstetten, einer Gemeinde im Untertaunus, zu der sich in den 70er-Jahren 10 Dörfer zusammengeschlossen hatten. Irene Maibaum, eine Sekretärin im Präsidium, die Norma ins Herz geschlossen hatte und ihr kaum eine Auskunft versagte, hatte zum Namen des BMW-Besitzers zugleich die Informationen über dessen Wohnort liefern können. Hünstetten lag an der Hühnerstraße, deren Name, wie Irene amüsiert anfügte, nichts mit dem Federvieh gemein habe und sich stattdessen aus dem keltischen Wort ›hön‹ für ›hoch‹ ableite. Es habe in der Gegend einst viele Hünengräber gegeben. Der Wagen befand sich allerdings nicht mehr in Sundermanns Besitz, sondern war zum Verschrotten abgemeldet, hatte Irene herausgefunden, nachdem Norma sie am Montag nach Arthurs Verschwinden um die Auskünfte gebeten hatte.
Was will ein Mann wie Sundermann mit einem schwarzen Anzug?, fragte Norma sich unwillkürlich.
Sundermann griente freundlich. »Wiesbaden ist ein Dorf! Gestern erst habe ich Sie im ›Maldaner‹ gesehen. Hat Ihr Wagen den Ausflug ins Grüne gut überstanden?«
»Dem Auto ist nichts passiert.« Sie deutete auf seine Einkaufstasche. »Hoffentlich kein Todesfall?«
Für einen winzigen Moment schien sein Lächeln zu gefrieren. »Sieht man mir so genau an, dass ich sonst nur Jeans trage? Ich brauche den Anzug für meinen neuen Job.«
Versicherungen oder Autos?, überlegte Norma, verwarf aber beide Vorstellungen.
Er würde in Kürze eine Stelle als Geschäftsführer antreten, erklärte er und fragte, ob er sie zu einem Glas Sekt einladen dürfe. Er habe bisher noch gar nicht auf seine neue Arbeit angestoßen, fügte er hinzu, als sie zögerte. »Sie würden mir eine Freude machen.«
Sofern dafür ein Milchkaffee genüge, meinte Norma, die nichts gegen ein Gespräch einzuwenden hatte. Sundermann war die Hühnerstraße in den Minuten entlanggefahren, als sich auch Arthur dort aufhielt. Ihm konnte etwas aufgefallen sein.
Der sonnige Vormittag zog die Menschen ringsum in die Straßencafés. Im ›Café Central‹ auf dem Mauritiusplatz fanden Norma und ihr Begleiter einen freien Tisch nahe am Brunnen. Die Einkäufe stellten sie auf den freien Stühlen ab. Zwei kleine Mädchen füllten hingebungsvoll einen Stapel Pappbecher mit Brunnenwasser, während ein anderes Mädchen und ein Junge sich einen Wettlauf über die schwarzen Steinquader lieferten, zwischen denen das Wasser in kleinen Geysiren hervor sprudelte. Das Mädchen gewann, und sein Gegner forderte trotzig eine Revanche.
Die Bestellung lenkte Norma von den Kindern ab. Sie blieb wie angekündigt bei Milchkaffee, ihr Begleiter nahm einen Espresso, und beide lachten, als sie auf die neue Stellung anstießen: die Milchkaffeeschüssel gegen sein Espressotässchen. Dabei musste Norma die randvolle Tasse mit beiden Händen halten. Er stellte sich selbst mit Sundermann vor. Norma nannte ihren Namen und blickte wieder zu den Kindern hinüber. Die Mädchen hatten sich verbündet und bespritzten den Jungen mit Wasser. Er warf einen Hilfe suchenden Blick auf Sundermann, der mit der Zuckertüte hantierte und von der Bedrängnis des Kleinen nichts mitbekam.
Norma löffelte den Schaumberg herunter. »Mein Mann ist verschwunden. In jener Nacht, als auch Sie auf der Hühnerstraße unterwegs waren. Ist Ihnen ein Fußgänger aufgefallen?«
Sundermann entriss der
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