Weinstrassenmarathon
erkennen: Es war Dr. Â Hoffmann, der Keltenexperte!
»Quatsch, das ist doch nicht der Hoffmann!« Hellinger wiegelte ab.
»Geh doch gucken!«
»Wir können hier nichts tun, lass uns weiterlaufen. Der ist gut versorgt.«
Röder lieà der Anblick keine Ruhe, und er wunderte sich über seinen Freund, den das anscheinend alles nicht berührte. Erst in Asselheim konnte er sich wieder auf das Laufen konzentrieren, denn der steile Anstieg kurz vor Schluss raubte den letzten Rest Verstand. Bei Kilometer 41, am Ortseingang von Bockenheim, ereilte ihn dann ein Krampf im rechten Oberschenkel. Doch schlieÃlich überquerte er humpelnd und überglücklich die Ziellinie, nachdem er von der begeisterten Menge auf den letzten Metern angefeuert worden war.
»Drei Stunden zweiundfünfzig Minuten, nicht schlecht fürs erste Mal, und das noch dazu auf der hügeligen WeinstraÃe.« Hellinger drückte Röder ein randvoll gefülltes Dubbeglas in die Hand und behielt recht: Es war die beste Weinschorle, die Röder bisher getrunken hatte.
Sie tranken noch eine Schorle, dann stolperten sie leicht angesäuselt zu der kleinen Turnhalle, in der die Sporttaschen deponiert waren. Die unsichere Gangart rührte nicht nur vom Pfälzer Nationalgetränk her. Sich gegenseitig bemitleidend, klagten sie über krampfende Waden und schmerzende PlattfüÃe.
Unter der Dusche gab es nur ein Thema. »Der ist einfach zusammengeklappt. Hat die Augen gerollt und rumgezuckt.«
Ein anderer Nackter mit einem ansehnlichen Bierbauch und schnellen drei Stunden achtundvierzig Minuten fügte hinzu: »Der hatte Schaum vor dem Mund und sah so aus, als ob er jeden Moment abnippeln würde.«
»Vielleicht hatte er einen epileptischen Anfall? Ich habe einen Cousin, der sieht während seinen Anfällen immer genauso fürchterlich aus.«
»Wären traurige Schlagzeilen für den WeinstraÃenmarathon, wenn einer den Löffel abgibt.«
Hellinger beschwichtigte Röder. »Ach was. Das war bestimmt nur ein Kreislaufkollaps. In meinen ganzen Jahren als Läufer habe ich noch nie einen Toten auf der Strecke gesehen.«
Röder blickte seinen Freund von der Seite an, sagte aber nichts. Der Winzer wich seinem Blick aus.
Frisch geduscht, der Duft von Franzbranntwein umwaberte sie nicht gerade dezent, gingen sie hinkend zum Festzelt hinüber, um bei Pasta und Rieslingschorle den schönen Landschaftslauf ausklingen zu lassen. AuÃerdem war Zeit für die Siegerehrung. Die diesjährige Siegerzeit war grandiose zwei Stunden dreiundzwanzig Minuten und damit neuer Streckenrekord. Gelaufen wurde dieser von einem Kenianer. Im Zelt war von müden Marathonis nichts zu merken. Alle wankten oder humpelten ein bisschen, aber der Weg zum Schoppenstand war auch nach 42,2 Kilometern nicht zu weit für einen gut trainierten Läufer. Die Damen, die etwa ein Drittel des Feldes stellten, konnten bei dieser nachgelagerten Disziplin ebenfalls locker mithalten. Ãberall wurde gejohlt, gefeixt oder einfach nur der Sieg über die Mammutdistanz gefeiert.
Röder fachsimpelte mit seinem Gegenüber, einem sechsundsechzigjährigen Lokalmatadoren, der an diesem Tag seinen einhundertdreizehnten Marathonlauf absolviert hatte. Dass dieser Mann nicht nur Marathon-Latein erzählte, bewies er mit seinem T-Shirt, das ihn als Mitglied im 100er-Club auswies. Vom anderen Ende des Tischs drang das Gerücht zu ihnen herüber, dass einer der Läufer gestorben sei. Statt Betroffenheit zu zeigen, wurde munter über die möglichen Ursachen spekuliert und dabei herzhaft gelacht. Galgenhumor. Röder, redselig durch den Alkohol, vertraute dem Marathonveteranen an, dass es sich um Dr.  Hoffmann handeln könnte.
»Was, der Hoffmann? Glaube ich nicht. Der ist ein zäher Bursche. He, Heini!« Er brüllte über drei Biertischgarnituren hinweg. »Heini, der Jungspund meint, dass es der Wolfgang ist. Kann doch gar nicht sein, der hat doch bestimmt schon sechzig Marathons auf dem Buckel.« Dank dieser lautstarken Verkündigung durch die Marathonprominenz hatte die Menge nun einen Namen und nur noch ein Thema.
SchlieÃlich schritten der Landrat, die Weingräfin des Leiningerlandes und andere LokalgröÃen zur Siegerehrung. Der Tumult im feuchten, alkoholdunstigen Zelt nötigte den Landrat dazu, erst einmal die Gemüter zu beschwichtigen.
»Meine
Weitere Kostenlose Bücher