Weinstrassenmarathon
Damen und Herren. Um den vielen Gerüchten vorzubeugen, möchte ich vor der Siegerehrung noch eine Mitteilung machen. Ja, wir hatten einen Notarzteinsatz auf der Strecke, und ein Läufer wurde ins Krankenhaus gebracht. Zur Stunde kann ich Ihnen keine, ich wiederhole, keine Angaben über den Gesundheitszustand des Betroffenen machen. Sicher befindet er sich wieder auf dem Weg der Besserung. Klar ist auf alle Fälle, dass die Organisatoren des Marathon bewiesen haben, dass das Notfallkonzept reibungslos funktioniert und alle Verantwortlichen, einschlieÃlich meiner Wenigkeit â¦Â«
»Blablabla«, fiel ihm Hellinger ins Wort, aber nur so laut, dass es seine direkte Umgebung hören konnte. Der politische Würdenträger, der für die nächste Landtagswahl schon einen sicheren Listenplatz innehatte, benutzte eine Menge Weichspüler, um den Vorfall herunterzuspielen.
Endlich begann die Siegerehrung mit einem lauten Tusch, weiteren Reden und jeder Menge Weinpräsente. The show must go on!
Ein Bier und eine zusätzliche Schorle später machten sich die beiden Freunde auf den Weg zum Auto. Es wurde bereits dunkel, an diesem schönen Tag im April. Hellinger setzte sich ans Steuer.
»Drag misch zum Audo, isch kann kenn Schritt mehr laafe, un wenn misch die Griene ohallde, dann haw isch de Oklaacheverdräder schunn newer mer sitze.«
Röder schwieg. Den Witz hatte er schon unzählige Male in verschiedenen Variationen gehört. Die StraÃen waren wieder frei, die Streckensperrung entlang der frühlingshaften Haardt wieder aufgehoben. Zum wiederholten Male fingerte Hellinger während der Fahrt an seinem Handy und versuchte, Katrin zu erreichen. Ohne Erfolg. Sie stoppten schlieÃlich in Kallstadt, vor dem berühmten Weingut Hellinger. Im vergangenen Jahr hatte Hellinger wieder alle möglichen Preise abgeräumt. Der Gault Millau führte ihn mittlerweile als eines der besten Weingüter Deutschlands. Kein einziges Licht war im groÃen Haus zu sehen, auf dem mit Forster Basaltsteinen gepflasterten Hof stand nur Röders alter Mercedes.
»Wart noch, bevor de faascht«, sagte ein reichlich betretener Hellinger. Wenige Minuten später kam er mit einem zerknüllten Zettel in der Faust und Tränen in den Augen zurück. Röder hatte seinen Freund selten so aufgelöst gesehen. Er brauchte die kurze Mitteilung gar nicht zu lesen, um zu verstehen, was los war. Er tat es dann doch, als sein Freund, der jetzt auf dem Beifahrersitz seines alten Mercedes saÃ, das Papier zum wiederholten Male glatt strich. »Ich bin bei Mama â endgültig!«
Der Rest des Abends hatte nichts von einer ausgelassenen After-Marathon-Party. Hellinger ertränkte seinen Kummer, Röder zog halbherzig mit. Die Landesschau berichtete ausführlich über das Ereignis: Ein Läufer beim WeinstraÃenmarathon war auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.
VIER
Montagmorgen, der Tag danach. Röder machte sich auf den Weg zur Arbeit, den Marathon in den Knochen, das anschlieÃende Frustbesäufnis im Kopf. Nur eine Handvoll Aspirin und etliche Tassen Kaffee erhielten einigermaÃen seine Arbeitskraft. Das Telefon läutete.
»Ah, du hast also den Marathon überlebt. Wie ich höre, ist der WeinstraÃenmarathon ein mörderischer Lauf.«
»Ja, das Auf und Ab geht ganz schön in die Knochen.«
Steiner seufzte auf der anderen Seite. »Es hat einen Toten gegeben.«
»Ach so, ja, und du kennst ihn auch. Es ist der Dr.  Hoffmann, der bei Achim den Vortrag gehalten hat.«
»Ich weiÃ, ich habe gerade eine Akte eröffnet.«
»Wieso denn das? Der hat doch wohl einen Herzinfarkt gehabt oder so.«
»Eher oder so.«
Röders Restalkohol verflüchtigte sich schlagartig. »Das heiÃt, er ist keines natürlichen Todes gestorben?«
»Du hast heute eine ziemlich lange Leitung. Ich nehme an, der Fall landet bald auf deinem Tisch.«
»Wie ist er gestorben?«
»Genau wissen wir es nicht. Er wird erst heute in der Heidelberger Pathologie untersucht. Die Ãrzte von gestern meinen aber, dass er typische Vergiftungserscheinungen aufweist und offensichtlich an einem allergischen Schock gestorben ist. Ich warte die Obduktion ab, aber ich denke, ich muss herausfinden, was passiert ist. Ich rufe dich gewissermaÃen auch als Zeugen an. Du warst doch dabei und kannst mir erklären, was abging und wie ich
Weitere Kostenlose Bücher