Weinzirl 02 - Funkensonntag
einer Kriegsgöttin gleich. Irene war schön, und sie
schien es nicht zu wissen.
»Gehen wir doch besser rein«, sagte sie.
Sie führte ihn in eine skandinavisch heitere Küche und schenkte Tee
ein. Gerhard setzte sich vor die mintgrüne Tasse auf die Bank.
»Irene, ich weiß nicht, ob Sie nicht lieber einen Anwalt zuziehen
möchten. Oder Ihre Mutter anrufen? Das wird jetzt keine Teestunde mit kleiner
Plauderei unter Freunden.«
Irene beugte sich ein bisschen vor und sah ihm direkt in die Augen.
»Das ist mir klar. Meine Mutter ist auf Kur. Ich bin alt genug. Ich
möchte das alles endlich zu Ende bringen.«
Gerhard konnte sich ihrer Wirkung nicht entziehen. Dieser Schönheit,
dieser Endgültigkeit, mit der sie sprach. Obgleich sie kein zerbrechliches
Wesen war, hatte er das Gefühl, sie schützen zu müssen.
»Macht es Ihnen was aus, wenn ich ein Diktiergerät mitlaufen
lasse?«, fragte Gerhard und versuchte alles abzulegen, was seine
Professionalität eingeschränkt hätte.
Irene schüttelte den Kopf.
»Irene, ich weiß, dass Quirin nicht, wie er das ausgesagt hat, mit
zwei Kumpels am Funken war, sondern allein. Und das war genau zu der Zeit, zu
der Adi Feneberg im Funken gelandet ist. Außerdem besteht der berechtigte
Verdacht, dass er zusammen mit Heini Pfefferle und mit einer Freundin von mir
unterwegs ist. Kennt Quirin Heini Pfefferle?«
Irenes Stirn legte sich in Falten, sie nickte.
»Ja, die kennen sich, aber ich glaube einfach nicht, dass sie das
getan haben. Ich meine, wirklich getan haben. Es war doch nur ein
Gedankenspiel. Sie waren doch die drei Musketiere der wilden Gedanken.«
»Irene, es geht hier um Mord. Was haben die getan? Und genauer? Wer
ist die?«
»Quirin, Steffen und Heini. Sie haben Adi gehasst. Jeder hatte Grund
genug, ihn zu hassen. Ich hasse ihn auch. Aber das alles ist eine lange Geschichte.
Sie müssten die Hintergründe kennen.«
»Reden Sie, uns läuft die Zeit davon!«
Irene rückte ihren Stuhl zurecht und begann leise zu sprechen:
»Quirin und ich hatten sozusagen zwei Mütter. Die Freundin meines Vaters lebte
im gleichen Haus, in einer Einliegerwohnung. Ich weiß, das ist Irrsinn, aber
sie wurde uns als die ›Tante Marianne‹ verkauft. Tante Marianne bekam von
unserem Vater ein neues Auto, meine Ma hatte nur ein Fahrrad. Quirin und ich
waren ja nicht blöd. Wir hatten wie alle Kinder hochsensible Antennen. Das
glauben Erwachsene bloß nie. Wir wurden älter und wussten die Geräusche, die
von oben kamen, richtig zu deuten. Sie wissen schon.«
»Die Kinder glaubten nicht mehr an den Nikolausi, an Osterhasi und
an falsche Tanten schon gar nicht?«
»Genau. Wir haben unsere Mama immer weinend erlebt, unseren Vater
eine Etage höher, und wir waren verwirrt. Marianne mussten wir hassen, weil sie
unserer Mama wehtat. Ich hatte in der Zeit gottlob bereits Steffen und seine
ganz normale Familie, aber Quirin hatte niemanden. Ich war in Irland bei einem
Schüleraustausch, als Marianne starb. Quirin hatte mir geschrieben, dass unsere
Mutter im Krankenhaus am Bett ihrer ärgsten Feindin Wache gehalten und ihre
Hand gedrückt habe. Unser Vater sei kein einziges Mal gekommen. Ich weiß noch
wie sein Brief endete: Marianne hat uns mit unverständlicher Langsamkeit
verlassen, ganz anders als sie gelebt hatte. Pa hat nicht mal geweint. Meine
feine Göttin. Ihr Frauen seid das starke Geschlecht. Männer sind Waschlappen.
Irene sprach emotionslos, so als würde sie ein Protokoll vorlesen.
Es war wie eine Nacherzählung eines ganz fremden Lebens.
»Ich war so entsetzt. Wir Kinder, wir waren uns doch so vertraut,
und doch habe ich nie begriffen, wie sehr Quirin gelitten hat. Ich bin auch
diesem Männer-Frauen-Käse aufgesessen. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Ich
wusste nichts über das wahre Seelenleben meines Bruders. Und ich, ich hatte ihn
im Stich gelassen. Ich war doch keinen Deut besser als meine Eltern gewesen.
Egoistisch war ich geflüchtet. Zu Steffen, dann zum Schüleraustausch. Ich bin
sofort heimgeflogen, und da war Quirin voller Hass. Vor allem auf unseren
Vater, dem Grabdiener von zwei Lieben. Auf alle Männer!«
»Konnten Sie Quirin denn helfen?«, fragte Gerhard.
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Er hasste es, ein Mann zu sein.
Unser Vater zog bald darauf aus, er hatte eine neue Freundin, kaum dass
Marianne unter der Erde war. Und Quirin hasste auch unsere Mutter, weil sie
auch das mal wieder duldend hingenommen hatte.«
Gerhard nippte an dem
Weitere Kostenlose Bücher