Weinzirl 02 - Funkensonntag
Tee.
»Allmählich verstehe ich Quirin. Aber ich finde immer noch keinen
Zusammenhang mit Adi Feneberg.«
»Als mein Vater auszog, kam er selbst gar nicht. Er hatte Bekannte
geschickt, die Möbel zu holen. Einer davon war Adi Feneberg gewesen.«
Gerhard sah überrascht hoch. »Adi war ein Freund Ihres Vaters? Aber
wie passte dieses Musterbeispiel der Moral denn zu Ihrem Vater und seinem
Verhältnis? Einer wie Adi muss so ein Verhalten doch abgelehnt haben?«
»Sehen Sie, Sie spüren das auch! Da ist ein Wahnsinnsbruch zwischen
dem ach-so-moralischen Adi und dem Umgang mit meinem Vater. Ich habe sogar mal
versucht, mit Adi darüber zu reden, aber er hat mich behandelt wie ein
Kindergartenmädel. Ich würde das nicht verstehen, hat er gesagt. Adi und Pa, das
waren alte Bergkameraden, zweimal Luis Trenker. Adi hat meine Mutter nie
gemocht, sie war zu intellektuell, zu wenig sportbegeistert und in die alte
Männerfreundschaft eingedrungen. Sie war auch viel jünger als mein Vater. Adi
mochte sie nicht und mich auch nicht. Moralapostel Adi hat für uns eine ganz
neue Lösung gefunden. Er hat bei Pa immer darauf gedrungen, dass er diese
unwürdigen Spiele beenden sollte. Er sollte meine Mutter und uns verlassen und
Marianne heiraten. Stellen Sie sich das mal vor, so einfach lässt sich Moral
definieren. Ich war fassungslos und wollte ihm klar machen, was er da
eigentlich sagte. Und da meinte er, ich solle lieber rausgehen und Sport
treiben, anstatt Erwachsene zu belästigen. Das wäre besser für meinen Kopf und
für meine Figur.«
Gerhard schluckte schwer.
»Und Quirin, wie stand er zu Adi?«
»Das ist es ja eben! Adi war für Quirin das, was Steffens Eltern für
mich waren. Er war sein Eishockey-Trainer, er war lange ein großes Vorbild.«
»Quirin hat Eishockey gespielt?«, fragte Gerhard überrascht.
»Ja, er war nicht immer so ein dünner, anämischer Intellektueller.
Er war das, was man einen ganz normalen Jungen nennt. Und er wollte seinem
Vater gefallen. Was Pa gefiel, war sportlicher Ehrgeiz. Und Quirin bettelte um
Anerkennung. Für ihn war das umso stressiger, weil der perfekte Adi sein
Trainer war. Vom Adi, von dem kannst du alles lernen, halt dich an den Adi, das
war der Standardsatz unseres Vaters. Und Quirin versuchte das. Aber er war halt
nur mittelmäßig begabt, er war eben auch der Sohn unserer Mutter. Das
übertünchte er mit dummen Männersprüchen, wie Jungs halt so sind! Das ging
alles ganz gut, bis Quirin so etwa dreizehn war und er unsere heulende Mutter
und die Pseudo-Tante erleben musste. Quirin muss noch viel mehr als ich darunter
gelitten haben.«
»Hat er denn mit Adi darüber geredet?«, wollte Gerhard wissen.
»Ich nehme es an. Schlagartig hat er eines Tages mit Eishockey
aufgehört. Der Name Adi fiel nie mehr. Quirin hat nie darüber gesprochen, aber
ich denke, Adi hat sich vor unseren Vater gestellt. So wie er das bei mir auch
getan hat. Verstehen Sie?«
Angstvoll sah Irene hoch, voller Qual. Eine junge Frau, selbst
erwachsen und doch immer noch voller Angst, die Erwachsenen würden sie nicht
verstehen.
»Die Lichtgestalt Adi Feneberg verlor ihre Leuchtkraft.«
Irene sah ihn überrascht an. »Lichtgestalt, ja das trifft es. So
wurde uns Adi verkauft, als die unfehlbare Lichtgestalt.«
»Aber wieso hat nie jemand eine Beziehung zwischen Quirin und Adi
Feneberg bemerkt? Wir haben natürlich die Listen der Kids geprüft, die er
trainiert hat.«
Irene stutzte. »Ach so, da war er mit dem Namen Thomas Gruber
verzeichnet. Wir hießen bis zur Scheidung alle Gruber. Wir haben beide den
Namen unserer Mutter angenommen, und Quirin hat auch den Vornamen gewechselt.
Das kann man, wenn man volljährig ist. Quirin ist eigentlich sein zweiter Name.
Unser Vater hieß, na ja, heißt immer noch Thomas.«
Darauf wäre Gerhard nie gekommen. In einer Million Jahren nicht.
»Und wie ging es weiter?«
»Adi tauchte in unserem Leben regelmäßig auf. Immer hatte er
Entschuldigungen für unseren Vater und für uns nur Sprüche. Da Quirin
inzwischen auch keinen Sport mehr trieb, kam Adi ständig mit seinen
mens-sana-in-corpore-sano-Parolen. Aber sein Geist war ja wohl alles andere als
gesund! Obwohl unser Vater nicht mehr da war, kam er zu unserer Mutter, um mal
nach dem Rechten zu sehen. Stellen Sie sich das mal vor! Er glaubte wirklich,
sie würde sich freuen. Unsere Mutter beging einen Selbstmordversuch. Dann kam
er nicht mehr.«
Es war das Lakonische in Irenes Stimme, das Gerhard anrührte.
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