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Weinzirl 02 - Funkensonntag

Weinzirl 02 - Funkensonntag

Titel: Weinzirl 02 - Funkensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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natürlich zu ihm gehalten. Zwei Dinge werde ich nie vergessen:
Als er zu reden begann, stand die Hündin auf und legte sich so weit wie möglich
von Adi weg. Und wie er sagte, dass Steffen und Heini als Männer an so etwas
nur wachsen könnten. Dass Steffen als angehender Mediziner ja an
Extremsituationen gewöhnt sein müsse und dass Heini gelernt haben dürfte,
vorsichtiger zu sein. Und dann hat er einige Fälle beschrieben, wo er Tote
geborgen hat. Er, er, er – er, der große Adi Feneberg. Der Unfehlbare, der
Berggott. Er hat beschrieben, wie sie ausgesehen haben. Er hat dann Steffen
noch jovial auf die Schulter geklopft und gesagt: ›Dank dem lieben Herrgott,
dass er dich verschont hat.‹ Ich war einfach sprachlos. Wie selbstgefällig kann
einer eigentlich sein? Überlegen Sie mal: Beschreibt der in Steffens und Heinis
Gegenwart, wie die Lawinenleichen ausgesehen haben!«
    »Hat Steffen das denn auch als eine solche Ungeheuerlichkeit
empfunden?«
    »Anfangs hatte es nicht den Anschein. Als Adi diesen beschissenen
Männersatz sagte, schien er das fast als Auftrag zu verstehen. Der Auftrag, ein
Mann zu sein. Nur – noch in der Nacht begannen seine Alpträume.« Wieder klang
Irene lakonisch.
    »Alpträume?«, fragte Gerhard.
    »Ja, er schoss jede Nacht hoch. Er begann schlafzuwandeln, riss
Dinge in der Wohnung um. Er machte mitten in der Nacht das Licht an und schrie,
er brauche Helligkeit. Am Morgen konnte er sich an nichts mehr erinnern.
Steffen veränderte sich auch am Tage. Er wurde fahrig und unkonzentriert. Und
ich habe diesen Adi so gehasst. Viel mehr als ich ihn früher schon gehasst
hatte. Wieso musste er in Steffen all diese Ängste wecken? Das wäre wirklich
nicht nötig gewesen. Wieso musste Adi mit seiner verqueren Moral immer wieder
in unser Leben platzen?«
    »Sie beide haben Adi also gehasst?«, wiederholte Gerhard vorsichtig.
    »Steffen dementierte das. Er behauptete immer, Adi habe doch Recht
damit, dass ein Mediziner in Grenzsituationen bestehen müsse. Einmal mehr
Männergequatsche, nichts als Selbstbetrug! Ich habe Adi gehasst. Alles, was
Steffen und ich mühsam aufgebaut hatten, drohte einzustürzen. Das kleine
Pflänzchen Normalität begann zu verdorren. Steffen wollte nicht mehr über
seinen Unfall reden, er wollte gar nicht mehr reden und mich nicht mehr lieben.
Mich nicht, sich nicht, das Leben nicht. Er lag ständig auf seinem Bett, dem
Dämon Depression viel näher als der bunten Studenten-Welt, in der wir
eigentlich hätten leben können. Aber er redete schon lange nicht mehr. Ich war
fix und fertig, weil er niemanden mehr an sich ranließ. Mich nicht, Heini
nicht, Quirin nicht.«
    »Quirin wusste von allem?«
    Irene schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Wangen waren
jetzt gerötet.
    »Ja, und er wollte mich schützen. Seine feine Göttin. Quirin war
damals wie eine Furie. Er hat geschrien und getobt und Adi verflucht als einen
Egomanen unter dem Deckmäntelchen der Moral. Er hat diese eitle Überzeugung
gehasst, alle belehren und bevormunden zu müssen. Quirin hasst diesen
Männer-Ehrenkodex. ›Es gibt ihn nicht‹, schrie er.« Irene überlegte: »Es gab
ihn vielleicht nie mehr seit den drei Musketieren.«
    »Und dann haben drei selbsternannte Musketiere beschlossen, Adi eine
Lektion zu erteilen?«, fragte Gerhard.
    »Nicht eigentlich beschlossen. Sie sind da hineingeschlittert.«
    Irene erzählte lakonisch, wie Quirin sie in den Monaten der
Verzweiflung über Steffen getröstet hatte. Wie sie Steffen schließlich hatten
überreden können, eine Psychotherapie zu beginnen. Eines Tages sei es darum
gegangen, dass man bei bestimmten Ängsten die Leute mit dem Objekt der Angst
konfrontieren müsse. Also beispielsweise Leute, die Angst vor Hunden haben, mit
Hunden. Also im extremsten Fall hätte Steffen das Gefühl des Eingesperrtseins
noch einmal erleben müssen. »Ich dachte, das ist ja Wahnsinn! Und dann sagte
Quirin: ›Mir wäre es lieber, wir würden Adi mal in ‘ne Lawine stecken. Damit er
keine Volksreden mehr schwingt. Damit es auch um und in ihm still wird.‹«
    Irene schaute Gerhard an, der dem Satz hinterherlauschte.
    »In eine Lawine konnten Sie ihn nicht packen? Hmm? Aber in einen
Funken! Was für ein Plan!«
    »Es war kein Plan. Es war so, als wenn man immer weiter in einen
Roman eintaucht oder in einen Film. Die Realität verlässt einen nach und nach«,
sagte Irene und schaute weg, dorthin, wo sich auf dem Fensterbrett hellblaue
Krüge

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