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Weinzirl 02 - Funkensonntag

Weinzirl 02 - Funkensonntag

Titel: Weinzirl 02 - Funkensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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und
drückte ihr diese schmerzhaft in den Augenwinkel. Irgendwann kam sie zum
Halten. Es war eine ungeheure Anstrengung, den Kopf zu wenden und hochzusehen.
Wo waren die drei?
    Sie standen noch immer am Grat. Jo lag da und eine neue
Übelkeitswelle überfiel sie. Ihr »Hilfe« war wenig mehr als ein ersterbender
Laut. Die Männer rührten sich nicht. Und nur sehr langsam wurde es für Jo zur
Gewissheit: Die würden ihr nicht helfen. Es war ein Moment der Klarheit.
Natürlich kannten sich Heini und Quirin. Sie kannten sich alle drei, ein
diabolisches Trio! Sie wollten sie umbringen, elend verrecken lassen im Schnee.
Lawinengrab, dachte Jo. Quirins »Es ist zu spät zur Umkehr« hallte in ihr nach.
Aber sie wollte nicht sterben. Sie schaffte es, aufzustehen und noch mal
hochzusehen. In dem Moment fuhren die Männer los. Jos Ski suchten die Falllinie
diesen mörderischen Hang hinunter. Der Untergrund war mal pulvrig, mal
harschig. Mal ritt sie obenauf, dann sackte sie wieder ein. Sie durfte jetzt
nicht stürzen. Aber da war Quirin an ihrer Seite, schnitt ihr den Weg ab. Von
hinten kam Heini. Sie konnte ihre Linie nicht mehr kontrollieren. Sie hörte
noch ein ratschendes Geräusch, so als ob jemand abschwingen würde. Hatten die
aufgegeben? Eine Sekunde Hoffnung, und dann fiel sie. Haltlos, bis es einen
gewaltigen Ruck gab. Ein Stock hatte sich irgendwo verhakt, und dann riss etwas
in ihrer Schulter. Der Schmerz war plötzlich, noch nie da gewesen. Als sie
wieder atmen konnte, sah sie ihren Arm im Anorak hängen, so als würde er nicht
dazugehören. Sie sackte zur Seite, übergab sich. Der Schmerz war grenzenlos.
Mit der anderen Hand schaffte sie es, das Wimmerl zu öffnen. Aber das Handy war
nicht drin. Auch sonst war nichts mehr da als die kleine Flasche Paspertin. Jo
trank sie aus, ohne zu wissen, warum sie das tat. Dann überfiel sie erneut eine
Woge von Schmerz.
    Der Schneeregen hatte dem Scheibenwischer von Gerhards Bus auf der
höchsten Stufe alles abverlangt, die Wischblätter waren auch nicht die
neuesten. Schneematsch hatte die Straße wie Schmierseife überzogen. Dennoch war
Gerhard in Rekordzeit in Stein angekommen. Es war halb elf und etwa drei Grad,
und das war so ziemlich die scheußlichste aller Wetteroptionen. Er zog den
Kragen seiner Lederjacke hoch und klingelte. Als sich nach dem ersten Klingeln
nichts rührte, klingelte er erneut. Nichts. Verdammt!
    Er hatte gar nicht bemerkt, dass jemand neben ihn getreten war. Er
sah sich um und erkannte Irene sofort, weil sie Quirin so ähnlich sah. Das
Mädchen nestelte an einem Schlüssel und sah Gerhard fragend an.
    Er lächelte. »Irene? Irene Seegmüller?«
    »Ja«, das Mädchen nickte überrascht, »wollen Sie zu mir?«
    »Ja, mein Name ist Gerhard Weinzirl. Von der Kripo in Kempten. Es
geht um Quirin, Ihren Bruder. Und um Adi Feneberg. Kann ich mit Ihnen reden?«
    Irene riss die Augen auf und nickte dann ernst.
    Noch immer standen sie halb im Regen, halb unter dem Vordach. »Gehen
wir ein Stück?«, fragte Irene. »Steffen, mein Freund, ist hier. Er schläft
noch, ich möchte ihn nicht wecken. Er schläft so selten.«
    »Medizinerschicksal, nehme ich an?«
    »Auch«, sagte Irene und ging los. Sie liefen eine ganze Weile
schweigend durch das Wohngebiet, bis Irene auf ein Haus deutete.
    »Früher waren hier die Fensterläden knalltürkis, heute sind sie
beigebraun. Manchmal kommt es mir vor wie ein Symbol. An was habe ich als Kind
alles geglaubt? Was habe ich ersehnt? Eine Welt in Türkis! Vieles ist beige
geworden mit den Jahren.«
    Irene lächelte, lächelte aus einer Traurigkeit heraus, die von tief
drinnen kam. Lächelte, so als wäre sie älter, weiser, abgeklärter, als ihr
junges Gesicht glauben machte. Gerhard fühlte sich unwohl.
    »Ich bin nicht gut im Smalltalk. Und offen gesagt, ist das auch
nicht meine Aufgabe. Mein Job ist es, den Mord an Adi Feneberg aufzuklären. Sie
und Ihr Bruder haben in Suizid- und Giftforen gechattet. Warum?«
    Sie sah Gerhard an, und dessen Beunruhigung wuchs. Wie ertappt
stellte er fest, dass dieses Mädchen schön war. Nicht attraktiv oder hübsch –
nein schön! Sie hatte braune Augen, die leicht schräg standen. Slawische
Wangenknochen verliehen ihrem flächigen Gesicht etwas Edles, einem Gesicht, das
von schulterlangen dunklen Locken umrahmt war. Sie hatte eine überraschend
helle Haut, breite Schultern, eine schmale Taille, üppige Hüften und Brüste,
die ganz ohne BH hoch saßen. Sie
war schön, weiblich schön,

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