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Weinzirl 03 - Kuhhandel

Weinzirl 03 - Kuhhandel

Titel: Weinzirl 03 - Kuhhandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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kleckerte Senf auf sein T-Shirt und schwappte den Kaffee über seine
Unterlagen. Um 18 Uhr floh Gerhard aus dem Büro. Er floh vor Evi, aber er
konnte nicht vor den Gedankenwirbeln in seinem Kopf fliehen – Gedanken, wie mit
einem spitzen Handbohrer ins Hirn getrieben.
    Gerhard rieb sich
die Schläfen. Aber Akupressur war nur halb so effektvoll wie ein Weißbier –
zumindest nach Gerhards Auffassung von Notfall-Medizin. Und wirklich. Als er im
Stift im Biergarten saß, ließ das Bohren nach. Und er wusste, dass Evi Recht
hatte: Jetzt gab es einen Grund, Jo zu sehen.
    Er stürzte sein
Weißbier hinunter, startete seinen röhrenden Bus und fuhr stadtauswärts. Die
Autos stauten sich in der chaotischen Baustelle der Ortsumgehung von
Waltenhofen. Hinter Waltenhofen kam ihm die neue Autobahn immer noch wie ein
Fremdkörper vor. Der Bahnübergang bei Kuhnen war eliminiert worden – als ob da
minütlich Züge gefahren wären. Hatte denn niemand mehr ein paar Minuten Zeit?
    Und weil er so in
Gedanken war, verpasste er die Ausfahrt nach Niedersonthofen – vielleicht hatte
auch sein Unterbewusstsein ihm verboten, dort abzubiegen. Der See und Jo – sie
waren untrennbar verbunden. Der »Plastikstrand« – das war das sommerliche
Äquivalent zu den Kammeregg-Liften im Winter gewesen. Und zweiter Szene-Treff
nach dem Eschacher Weiher. Hier hatten sich die Surfbretter gestapelt und die
Segel – nur einer war ausgeblieben: der Wind. Gerhard musste nun doch
schmunzeln, trotz aller Melancholie: Der Niedersonthofner See, der gute
»Nieso«, war der wahrscheinlich windstillste See im Voralpenland, wie er da in
der bewaldeten Kuhle kauerte. Da hätte es schon fünf Meter hohe Masten
gebraucht, um ein Lüftchen einzufangen. Aber so hatten sich die Mädels eben
oben ohne auf den Brettern geräkelt, eingecremt mit Melkfett, um schneller
braun zu werden. Was für eine gute alte Zeit, als Einteiler out gewesen waren
und das Hautkrebsrisiko nirgendwo diskutiert wurde. Diskutiert wurde höchstes,
dass das Melkfett die Bretter so glitschig gemacht hatte, dass man
runterrutschte. Schlaufen hatten diese ersten Bretter nicht gekannt – es hatte
auch nur drei, vier Modelle gegeben. Gerhards Mistral Epoxy, der mit der blauen
Kante, das war das höchste der Gefühle gewesen. Jo war damals eine echte Zierde
für den See gewesen, wie sie da melkfettglitzernd auf den Boards lag. Aber auch
als Surferin war sie den Jungs echt um die Ohren gefahren. Jo – immer diese Jo!
    Gerhards Bus
tuckerte die kleine Anhöhe vor Herzmanns hinauf, und einmal mehr musste er sich
wundern. Da wurde Nachwuchs angekündigt auf einem gelben Schild. Eine
Tankstelle erhielt Nachwuchs – was für eine Ausdrucksweise. Die
Asphaltlebensadern hatten längst die Regentschaft übernommen, und dazu passte
allemal, dass für den Bau der Benzinbar eine Naturschutzzone verschoben worden
war. Money rules the world, das richtige Parteibuch und der korrekte
Stammtisch, dachte Gerhard, und nichts an diesem scheidenden Sommertag war dazu
angetan, ihn von seinem Blues zu befreien. Manchmal kam er sich vor wie in
einem Trichter, der sich immer mehr verengte. War das Älterwerden? Wurden die
Möglichkeiten immer weniger? Als das Pegasus zugemacht hatte, beispielsweise!
Natürlich, er war die letzte Zeit auch kaum noch dort gewesen, und er gab Gino
ja Recht: Was jammert ihr jetzt, wo wart ihr all die Jahre? Es war diese
Endgültigkeit, die Gerhard erschreckte: Jetzt war das Pega zu,
unwiederbringlich. Knarzend hatte sich der schwere Buchdeckel geschlossen, ihn
erneut hochzustemmen war unmöglich. Darin verschlossen war nun ein großer Teil
dieser Achtziger-Jahre-Jugend – so locker-leicht und so emotional-dramatisch
zugleich.
    Gerhard fuhr nach
Oberdorf hinein, durch die Bergstraße, und parkte sein Auto auf einem Parkplatz
im Waldstück. Er riss sein Mountainbike geradezu aus seinem Bus, der neben dem
Bike auch noch die Tourenski, Campinggeschirr, mehrere verstreute T-Shirts und
ein Zelt barg. Über Eckarts und Freibrechts wäre er rasch in Göhlenbühl
gewesen, aber Gerhard fuhr erst mal nach Niedersonthofen hinunter und nach
Rieggis hinauf. So, als wolle er sich kasteien, trat er viel zu hohe Gänge in
der ersten steilen Kurve. Und wieder kreiste er sein Ziel nur ein, hielt erst
mal auf Diepolz zu und fuhr weiter nach Knottenried. Er überlegte, ob er sich
im Bergstätter Hof erst noch mal ein Weißbier gönnen sollte, aber nein – er bog
in den Fußweg nach Göhlenbühl ab. Er war

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