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Weinzirl 03 - Kuhhandel

Weinzirl 03 - Kuhhandel

Titel: Weinzirl 03 - Kuhhandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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den
göttlichen Riesling im Glas, und auf einmal, vielleicht zum ersten Mal in
seinem Leben, hatte er jenes Gefühl verspürt, einfach da zu sein, an niemand
und nichts zu denken. Stille ringsum, es drängte etwas heran, was er verloren
hatte. Dieser wuschelige Kater hatte auf seinem Bauch gelegen und fast
hypnotisch vor sich hin geschnurrt. Es war, als wäre Gerhard mit seiner
Unterlage und dem Tier verschmolzen. Da war Jo vorbeigegangen, und ein Schatten
war auf sein Gesicht gefallen.
    Deshalb, nur
deshalb, hatte er hochgeschaut und war überrascht gewesen. Sie hatte nicht
direkt gelächelt, sie hatte ihm auch keine erotisch provozierenden Blicke
zugeworfen. Sie hielt ihr Glas in der Hand, ihre Augen waren grün, so grün wie
ihr Kapuzensweatshirt. Es war, als gehöre sie zu einem Bild, und weil sich ihre
Blicke trafen, nur deshalb, gehörte er schlagartig dazu. Sie setzte sich auf
den Boden, und er spielte mit ihren Haarsträhnen. Samt und Seide. Der kluge
Kater hatte sich nach langer Zeit gestreckt, einen Katzenbuckel gemacht und war
gegangen. Gerhard war zu Jo auf den Boden geglitten. Sie lagen auf dem Bauch,
und Jo hatte trotz der unmöglichen Lage weiter Wein getrunken. Gerhard hatte
sein Glas verschüttet. »Eine gute Rückenmuskulatur kommt vom Reiten«, hatte Jo
gelacht und ihm empfohlen, an den Lippenschluss zu denken. Lippenschluss? So
war das gekommen.
    Die beiden hätten
bei der Aufrechnung ihrer jeweiligen Liebhaber viel Spaß gehabt – und viel Zeit
benötigt. All die Affären, die Nächte mit schalem Beigeschmack und die, wo man
sich wohlig-verrucht vorkam, das hatten beide zur Genüge vorzuweisen. All die
unwürdigen Spielchen, bei denen es Jo geschafft hatte, mit drei besten Freunden
zu schlafen, und doch hatte keiner vom anderen gewusst. Und Gerhard, der ein
bisschen mit Schnee und Sex experimentiert hatte, frei nach Falcos Kultsong
»Der Kommissar«: Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahrn, kennt heute jedes
Kind.
    Letztlich waren sie
beide Meister der Talfahrten, der emotionalen Selbstverstümmelung gewesen. Und
wie war das bei all den echten Beziehungen gewesen? Viele Versuche, mal kürzer,
mal länger. Letztlich hatte sich die rechte Balance von Liebe und Freundschaft
nicht einstellen wollten. Respekt und Loyalität waren irgendwo auf den
Schlachtfeldern jener Kriege um Banalitäten verloren gegangen. Sie hatten beide
nichts verpasst und nie etwas ausgelassen, was verletzt. Aber jetzt waren sie
beide unschuldig und rein.
    »Reinheit«, ein
Wort, dem wir uns ziemlich entfremdet haben, hatte Gerhard am nächsten Morgen
voller Verwirrung gedacht. Aber es war eine Reinheit der Gefühle, der Seele und
des Körpers gewesen. Sehr sanft und doch so geil. Sehr vertraut und doch so
phantastisch neu.
    Gerhard hatte
begonnen, leise aufzuräumen, der Kater mit den unergründlichen Augen hatte ihn lange angesehen. Und Gerhard hätte schwören können, dass er das Geschehene
guthieß. Er hatte die leeren Weinflaschen betrachtet und gelächelt. Jo lag
unter einer Wolldecke noch immer am Boden, und nur ihre Nasenspitze war zu
sehen.
    Gerhard hatte
vorsichtig das Haus verlassen und war nach Immenstadt hinuntergefahren, um
Schoko-Croissants zu holen. Als er wiedergekommen war, war sie verschwunden
gewesen. Drei Monate lang. Sie hatte zwar im Juli wieder begonnen zu arbeiten,
aber keinen Kontakt zu ihm aufgenommen. Nun war es später September.
    »Trotzdem!« Evi riss
ihn aus der irritierenden Erinnerung. »Ihr seid über all die Jahre Freunde
geblieben? Du stehst noch immer – oder von mir aus wieder – auf sie!«
    »Scheiße. Ich hab
sie seit Monaten nicht mehr gesehen! Was interessiert mich Jo?« Gerhard
versuchte, cool zu klingen.
    »O ja. Ich weiß,
dass sie plötzlich verschwunden war. Ich weiß von deinen Telefonaten, wie du
wochenlang bei jedem Anruf gehofft hast, sie wäre es. Gerhard, verarsch mich,
die Welt, aber nicht dich selbst. Geh zu ihr – und sei es nur wegen dieser
Svenja. Vielleicht weiß Jo ja wirklich was. Jo weiß doch immer was.« Jetzt
klang Evi bitter. »Und du, du hast dann doch einen guten Grund.«
    Gerhard sprang
ungehalten auf, sein Bürostuhl fiel gegen den Tisch und donnernd zu Boden.
Seine beiden Uli-Stein-Kameraden, die gerade gedöst zu haben schienen, wurden
wild durchgerüttelt. Sie blickten Gerhard missbilligend an, genau wie Evi, die
wortlos den Raum verließ.
    Der Tag ging zäh
dahin. Gerhard ranzte mehrmals Kollegen an, die sich keiner Schuld bewusst
waren. Er

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