Weinzirl 03 - Kuhhandel
den
Jagdambitionen ihres Mannes hielt. »Und jetzt verschwinden Sie mit Ihrem Freund
von hier. Mitsamt dem Laptop. Von mir haben Sie den nicht.«
Als sie wieder in
Laszlos Auto saßen, war es Jo, als sei sie gerade aus einem äußerst wirren
Traum erwacht. Auch Laszlo schien über die Szene nachzudenken. So waren sie
fast schon in Immenstadt angelangt, als Jo ihre Gedanken sortiert hatte. Frau
Ostheimer hatte ihnen Beweise gegen ihren Mann in die Hand gespielt. Der Mann
war weg, ja, was bedeutete das denn wohl? Doch wohl nur, dass er der Mörder
war. Svenja war seinen Machenschaften auf die Schliche gekommen, er hatte sie
umgebracht. Und nun war er flüchtig.
»Laszlo, wenn
Ostheimer in Ungarn zur Jagd ist, wo könnte er sein?«
»Oh, da gibt es
viele Möglichkeiten. Die Jagd und der Jagdtourismus sind ein großes Ding in
Ungarn. Aber sie sprach von einer Hundemeute. Meines Wissens gibt es in Ungarn
nur eine Hundemeute. In Sümeg. Ich habe da mal einen Fernsehbeitrag gesehen.
Der Inhaber des Burgstalls am Fuße der Burg hat wohl die einzige Hundemeute
Ungarns und wohl auch die einzige dieser Größe außerhalb von England. Ich
glaube, die Tiere heißen Tricolore, die sind irgendwie dreifarbig. Wenn ich
mich an den Beitrag recht erinnere, dann macht der Stall Reit- und
Jagdprogramme auch für Gäste.«
»Und wo liegt
Sümeg?«
»Im Hinterland des Balaton.
Hübsche Gegend, gar nicht so weit weg von meiner Heimat.«
Heimat! Mittlerweile
waren sie vor Jos Haus angekommen, es war drei Uhr. Eine sternklare mondhelle
Nacht und ungewöhnlich warm für Ende September. Sie sah Laszlo in die Augen,
der sie fragend anblickte. Das hier war ihre Heimat, ihre Familie aus Katzen
und Pferden, eine ungewöhnliche Familie vielleicht, aber sie gab ihr doch Halt,
Wärme und Zuflucht. Es ist etwas anderes, die Tür zu einem Haus aufzusperren
als die zu einer Wohnung, dachte Jo plötzlich. Und Laszlo? Der hockte in einem
Minizimmer, arbeitete hier als Koch in einem fremden Land, obwohl er zu Hause
Informatik studieren wollte. Und das wusste sie auch nur von Banjo. Sie wusste
nichts von Laszlo. Er war zweimal für sie in ein Haus eingebrochen, hatte
Computerdateien geknackt, ohne auch nur einmal die leisesten Bedenken zu
äußern.
»Warum tust du das
alles für mich?«, fragte Jo.
Er lächelte sein
hinreißendes, immer ein wenig trauriges Lächeln. »Kennst du Ungarn? Kennst du
die Ungarn? Nein? Wir waren in unserer Geschichte selten auf der Seite der
Gewinner. Wir wurden so oft überrannt von Türken oder Österreichern. Wir
funktionieren anders als ihr Deutschen. Wir lavieren uns seit Jahrhunderten
zwischen den Möglichkeiten hindurch, solange sie nur nicht zu schlecht sind.
Wir mögen keine Obrigkeiten und keine Bürokratie – das wird sicher noch so
manche lustige Konfrontation mit den Eurokraten in Brüssel geben.« Er lachte
hell auf. »Wir haben eine sehr elastische Lebenseinstellung, auch was die
Einhaltung von Gesetzen betrifft. Wir mussten uns immer gegenseitig helfen.
Attila József, einer unserer ganz großen Poeten, hat mal gesagt: Wenn ich dich
einmal lieb gewonnen habe, dann kannst du getrost ohne Anklopfen zu mir kommen.
Schön, nicht? Warum hätte ich dir nicht helfen sollen?«
Jo schluckte einen
Kloß im Hals hinunter. »Trinken wir noch was?«
Laszlo nickte,
folgte Jo mit dem Laptop, den er ganz vorsichtig auf dem Küchentisch abstellte.
Mit einer Flasche Wein und Gläsern bewaffnet, gingen sie hinauf auf die Wiese.
Falco lag ausgestreckt unterm Apfelbaum und schnarchte. Fjölla lag ebenfalls,
hatte das Kinn aufgestützt und blinzelte Jo zu. Fenja hielt Wache, wie das bei
Pferden so üblich ist. Sie gab ein tiefes Grummeln von sich: Du bist es, gut. So
große Tiere, Fluchttiere eigentlich, und so viel Vertrauen. Laszlo und Jo
setzten sich auf einen Baumstamm.
»Ich war nie in
Ungarn. Komisch, ich war fast überall auf der Welt, aber nie in Ungarn«, sagte
Jo.
»Komm mich mal
besuchen. Es würde dir gefallen. Du wärst sowieso eine gute Ungarin geworden.«
»Ja?«
»Ja, du bist eine
Dilettantin.« Er lachte wieder hell.
»Bitte? Das ist ja
kein direktes Kompliment.«
»O doch. Die Ungarn
sind alle Universaldilettanten. Probieren alles aus, du weißt schon: Learning
by Doing. Reden überall mit, wie sagt ihr im Allgäu dazu: mitschnabeln? Sind
respektlos angesichts neuer Herausforderungen. Sind dramatisch. Das ist gut so: Viele Deutsche verharren vor lauter Perfektionsanspruch lieber im
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