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Weinzirl 03 - Kuhhandel

Weinzirl 03 - Kuhhandel

Titel: Weinzirl 03 - Kuhhandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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verschreckten
Nichtstun. Bevor die was angehen, müssen sie Kurse belegen, Fortbildungen
machen, Prüfungen ablegen. Sie kaufen Fachbücher und Lernvideos. So sind die
Ungarn nicht. So bist du nicht!«
    Jo drückte seine
Hand. »Na gut, dann werde ich respektlose Universaldilettantin mal nach Ungarn
fahren. Du sagtest vorhin, Sümeg sei in der Nähe deiner Heimat?«
    »Ja, ich stamme aus
Pápa in Westungarn, übrigens ein gutes Pflaster für Dichter, Denker und andere
musische Begabungen. Der dichtende Revoluzzer oder auch revolutionäre Dichter
Sandor Petöfi ging in Pápa zur Schule. Jokai Mór wurde in dieser Schule mit
jener fatalen Mischung aus radikal-liberalem Jungem Europa und Byron’schem
Weltschmerz konfrontiert, die ihn in all seinen großen Romanen nicht mehr
losgelassen hat. Du musst das mal lesen, es ist sehr dicht geschrieben. Und
Otto Nicolai ließ sich im Esterhazy-Schloss zu den ›Lustigen Weibern von
Windsor‹ inspirieren, und immer wenn ihm nichts mehr aus der Komponistenseele
floss, fand er im Schlosspark neue Ideen und Ruhe. Wir haben in dem Park nur
heimlich geraucht und gekifft. Aber immerhin, der Geist der großen Denker
umwehte uns zusätzlich zum Rauch, und außerdem war es schon was, auf eine so
berühmte Schule zu gehen.«
    »Na, dein
Deutschlehrer war jedenfalls nicht der schlechteste«, meinte Jo.
    »Nein, tatsächlich,
doch ich habe auch immer mit meiner Oma Deutsch geredet. Aber mein Bruder
konnte immer besser Deutsch als ich.« Plötzlich entriss er Jo seine Hand, hieb
kurz mit der Hand auf den Baumstamm, so, als wolle er ihn mit einem
Handkantenschlag zertrümmern.
    Jo sah ihn
erschreckt an. Laszlos Hand begann, leicht zu bluten. »Lazi …?«
    Laszlo zögerte, und
plötzlich brach es aus ihm hervor: »Mein Bruder und ich, wir waren
Leistungssportler. Seit wir vier und fünf Jahre alt waren, sind wir geschwommen.
Es ging stetig bergauf. Regionale Erfolge, nationale Titel und dann die
Aufstellung für das Olympiateam. Mein Bruder war der Begabtere von uns beiden,
Wasser war sein Element, im Wasser war er wie ein Delphin. Es war in der heißen
Vorbereitungsphase für Olympia. Mein Bruder ist ganz dumm am Startblock
ausgerutscht und hat sich das Knie zertrümmert. Er kam nach Budapest in die
Klinik. Inoperabel, sie haben es trotzdem versucht. Er ist auf dem
Operationstisch verblutet. Voll gestopft mit Drogen vom Zehennagel bis in die
Haarspitzen. Dann bin ich geflohen – vor Ungarn, vor dem Sport, vor den
brennenden Schmerzen in meinem Herzen. Die Schmerzen vergehen aber nicht. Nie!«
    So viele Fluchten,
so viele Narben, die nie ganz heilen und immer wieder aufbrechen, dachte Jo.
Unsere Welt ist voller Flüchtlinge. Sie schwieg, denn was hätte sie sagen
können? Moebius war näher gekommen, hatte sich zwischen die beiden auf den
Baumstamm gesetzt und sah Laszlo aus seinen schrägen Augen sehr aufmerksam an.
    »Es ist, als könnte
er in meine Seele sehen«, sagte Laszlo überrascht.
    »Das kann er auch.
Alle Katzen können das. Wir können nur nicht in ihre Seele sehen. Trotzdem
bleiben sie bei uns, oder vielleicht deshalb. Katzen bewahren immer ein letztes
Geheimnis. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass sie bei uns ausharren. Sie
sind unmanipulierbar und unerziehbar und wählen doch freiwillig unsere
Gesellschaft. Eine Katze würde sich nie der Schizophrenie bezichtigen lassen,
weil sie eine grausame Jägerin ist, die mit der Beute spielt, und zärtlich
zugleich ist. Eine Katze nimmt sich die Zeit für sich selbst, putzt sich
stundenlang. Wir würden uns unserer Eitelkeit schämen, und so lauthals, wie eine
Katze sich beschwert, würden wir das nie tun. Erziehung, Gesellschaft, unsere
eigene verkorkste Geschichte verbietet uns das.«
    »Na, dann bist du
aber doch zumindest auf dem Weg zur katzenhaften Dilettantin«, lachte Laszlo.
»Auch deshalb habe ich dir geholfen. Weil du so bist, wie du bist. Weil du
solche Gedanken denkst. Und weil ich dir glaube. Und wenn es wirklich um Doping
geht, dann hatte deine Svenja keine Chance. Das wäre eine Nummer zu groß für
sie gewesen. Wo immer ich helfen kann, diesen Doping-Schweinen das Handwerk zu
legen, tue ich das. Auf dieser Alp passiert irgendeine ganz große Schweinerei.
Noch mal: Wenn es um Doping geht, sind da wahrscheinlich Menschen involviert,
die über Leichen gehen. Ich kann mir schon vorstellen, dass jemand, vielleicht
oder wahrscheinlich Ostheimer, deine Freundin Svenja umgebracht hat. Aber Jo,
wirklich, ich wiederhole

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