Weinzirl 03 - Kuhhandel
egal, ob im Allgäu, in Südamerika oder in Tibet. Hirten
hatten immer schon auf die Signalwirkung solcher Hörner gesetzt, um sich über
die Täler hinweg zu verständigen. Sie hatten Tiere damit angelockt. Und mit dem
ihm eigenen Charme verbannte Wegner gerade jetzt so manche Alphorn-Bau-Regel
ins Reich der Sagen.
»A Alphorn muas it
unbedingt bloß meh vom Baum sei, der über zwölfhundert Meter gwachsa isch. Des
isch a Mythos. Es goht au mit Fichta, dia weiter dunda wachset. Wenn ma a
Alphorn aus uim Stamm schaffa möcht, sott der Baum a Krümmung homm. Dia kriagt
r, wenn dr Setzling vom Schnee an Boda na druckt wird und später deam Liacht
zustrebt.«
»Und die Sache mit
den zwölfhundert Metern?«, fragte einer seiner Begleiter.
»Ja, mei, a eng
gwachsnes Holz isch für d Musikinstrumentla wichtig. In dr Höh wachset d Beim langsam, d Jahresringe lieget dichter beianand als beim Talholz. Des isch guat
fir d Klang. Aber mei, heit bauet au mir Alphörner aus zwoi oder drei Trümmer.
Suscht hängt so a langs Trumm ausm Fenschtar vom Auto naus!«
Und damit ging sein
Blick und der der beeindruckten Zuhörer wieder zum Zug.
»Wie, der hat sieben
Viecher verloren?«, hakte Jo nach.
»Ja, ja, ein ganz
neuer Begriff von Viehscheid, da sind einige dahingeschieden«, mischte sich ein
verschmitzt aussehender alter Mann mit schlohweißem Haar ein. Er lachte und
zuckte mit den Schultern. Jo kannte ihn vom Sehen oder besser vom Reiten. Sie
machte öfter mal größere Touren über den Hauchenberg ins Weitnauer Tal
hinunter, und als er sie zum ersten Mal an seinem Haus hatte vorbeireiten
sehen, hatte er den Pferden sofort Wasser angeboten, dann ihr einen
Holundersaft. In dieser Reihenfolge, erst den Pferden, das hatte Jo imponiert.
Er bewirtschaftete in Waltrams einen kleinen Hof. Man erzählte sich, dass er
1945 als Zehnjähriger von einer Allgäuer Familie als Pflegesohn aufgenommen
worden war. Der Egon Will war ein besserer Landwirt als die Eingeborenen
geworden. Nur Allgäuerisch sprach er bis heute keins. Bis heute war sein Hof
picobello, seine Kühe waren immer frisch gestriegelt, und Hörner hatten sie
auch!
»So ein Horn ist
doch eine sehr persönliche Angelegenheit für ein Tier«, hatte er Jo mal erklärt.
Angesichts von Seppi
und dessen hornlosen Kühen schüttelte er nochmals den Kopf. »Kein Gefühl mehr
für die Tiere. Kein Wunder, dass dem so viele wegsterben. Das ist die Scham.«
»Verreckt, dät i
saga«, kam aus einer anderen Ecke, und Jo erfuhr, dass die toten Tiere weder
auf langen Stangen und Zweigen, auf einer Art Trage, zu Tale gezogen worden
waren, noch dass man sie mit Jeep oder Bulldog transportiert hatte.
»Der Hubschrauber
ist geflogen, um die Tiere abzuholen. Dabei ist das ja wohl wirklich kein hochalpines
Gelände«, wunderte sich einer.
»Mei, wennd denksch,
was mir frinar fir a Gfrett ghett hond.« Und es gingen die Geschichten, über
die Zeiten, als der Weg auf die Alp viele Stunden gedauert hatte, als man
schwere Gegenstände wie Milchkessel und Butterfass noch mit dem Krotten bergauf
gezogen hatte. Als man Salz, Kleie, die Hausapotheke für das Vieh,
Kochgeschirr, Bettzeug, Äxte, Sensen und Rechen hinaufgeschleppt hatte. Und als
man noch Schweine auf den Alpen hatte, denn auf einer großen Sennalp war
täglich so viel Molke angefallen, dass davon bis zu vierzig Schweine gemästet
werden konnten. Damit sie auf dem anstrengenden Weg nicht zu viel Gewicht
verloren, mussten sie getragen werden.
»Ja, wenn heute
einer über einen Menschen sagt, der sei eine fette Sau, fallen mir immer die
Alpsäue ein. Mensch, die wurden mit jedem Höhenmeter schwerer«, lachte Will.
»Was waret mir
zaurackerdürre Buaba, grad amol zwölf, dreizehn Johr, und mir hond dia Saua
gschloift. Und gschafft von in dr Fria bis in d Nacht nei.«
Ja, dachte Jo, das
war noch gar nicht so lang her, dass auf den Galtalpen meist drei Hirten waren
und unter dem Meisterhirt die Mittel- und die Kleinhirten arbeiteten. Letztere
fast immer Kinder, denn bis in die 1950er Jahre erlaubte ein so genannter Alpdispens
ihnen das Fernbleiben von der Schule. Solche Kinder waren der Will oder der
»Katalog«, ein Mann in Wills Alter, der ständig irgendwelche Jagd-, Forst- und
Militärkataloge dabeihatte und erklärte, was er sich alles bestellen würde. Es
kam aber nie zu einer Bestellung, weil er arm war wie eine
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