Weinzirl 04 - Gottesfurcht
kannten, doch wohl gar
nichts gemeinsam hatten als diese Liebe zur Theke und zum Medizinmann. Gerhard
beobachtete sorgfältig: ein türkischer Stenz, ein alter schweigender Grieche,
ein großer Schlanker mit ziemlich blauen Augen unter einem Jack-Wolfskin-Hut.
Ein Musiker von einer Band, die hier wohl lokalen Kultstatus hatte, in seinem
Schlepptau eine Art Catwheasel, den Gerhard bei sich als »die Matte«
bezeichnete.
Später tauchte noch
einer auf, der Gerhard davon berichtete, gerade sieben Spiegeleier gegessen zu
haben. Sein Begleiter, ein kleiner Dünner, der was von Robbie Williams mit mehr
Falten hatte, wollte Gerhard in ein Gespräch über Formel Eins verwickeln,
faselte dauernd vom Qualifying und schwafelte lange über den spannenden Erwerb
einer Breitling bei ebay. Gottlob rief Baier zum Aufbruch, denn wenn es Gerhard
an zwei Interessen akut mangelte, dann waren das Formel Eins und Labels aller
Art, egal ob Mode oder Uhren. Als sie gingen, noch mal dezentes Nicken, eine
letzte Medizin – nicht für Baier, der nur Wasser trank. Gerhard fühlte sich
leicht, zufrieden und fast ein wenig sentimental. Er hatte hier in kürzester
Zeit das Gefühl gewonnen, angekommen zu sein. Auf Wohlwollen vertrauen zu
können.
»So«, meinte Baier.
»Jetzt kennen Sie unser Wohnzimmer. Passt das?«
Gerhard lächelte.
»Ein feines Wohnzimmer und eine recht eigentümliche Familie dazu. Sie müssen
mir mal eine Einweisung in die Mitglieder geben. Der Musiker?«
»Ist in Ordnung.
Gehört zur Red Sina Band, eher meine Generation, aber nicht zu unterschätzen.
Die rocken ganz schön ab. Sechziger Jahre und so. Ich gesteh Ihnen was: Ich bin
Gary-Glitter-Fan.«
»Die Matte?«
»Sozusagen deren
Roadie. Landschaftsgärtner sonst. Eine Seele von einem Menschen. Lebt für seine
Katzen und seine Sammelwut. Ein bisschen zu gut für diese Welt, und dann sein
Pech bei Frauen. Na ja, und der Alkohol. Die Matte! Gute Beschreibung.«
»Das Blauauge?«
»Guter Freund von
mir. Wir machen ab und zu ‘ne Ausfahrt mit unseren Hockern. Er hat auch ‘ne
Elfhunderter. Ganz geruhsam. Altherren-Ausflug. Wir haben’s beide im Kreuz.« Er
lachte.
»Die Rote Zora?«
»Tonis Bedienung.
Mitte zwanzig, nettes Mädchen. Irgendwie in Trennung. Kleinkind. Lassen Sie da
mal lieber die Finger davon.«
»Keine Sorge! Nicht
ganz meine Altersklasse!«
»Der Eiermann?«
»Sozusagen lebendes
Inventar. Netter Kerl.«
»Die Breitling?«
»Autodandler. Mag
den Wein und die Frauen ein bisschen zu gern. Na ja, die Frau ist ihm abhauen,
ist ein bisschen aus dem Tritt. Der ist nicht von hier, Köln, glaub ich.«
Aha, die Toleranz
hatte eben doch Landesgrenzen! Baier war die ganze Zeit schon über eine schmale
Straße gefahren und schien nun mitten in ein Moor hinein abzubiegen. Eine
gesperrte Straße zudem. In einer Senke stand das Wasser, Baier nahm Anlauf, und
das Wasser schlug über der Motorhaube zusammen. Baier grinste wie ein Lausbub.
»War früher schon
die Herausforderung, ob du durchkommst oder stecken bleibst. Ist eine Abkürzung
und wird von Besoffenen gern genommen. Als ob wir das nicht wüssten.« Ein Auto
kam ihm entgegen. Viel zu schnell. »Das ist so einer. Sie glauben gar nicht,
wie viele Autofahrer Verwandte und Bekannte am Hahnenbühl haben und diese
nachts zwischen eins und vier besuchen.«
Schließlich gelangte
er auf die Hauptstraße, und fast gegenüber war auch schon die Einfahrt zu
Gerhards neuer Bleibe.
»Ach, hier sind wir!
Raffinierte Route. Lassen Sie mich doch hier raus, ich geh die paar Schritte.«
Baier nickte. »Gute
Nacht, bis morgen. Er schaute auf die Uhr. »Äh, heute.«
Gerhard ging auf das
Haus zu, das von Nebelschwaden umtanzt wurde. Der Föhn hatte aufgegeben, der
Winternebel wieder die Regentschaft übernommen. Und plötzlich hörte er ein
Geräusch. Sein Kopf ruckte nach rechts. Aus einem der vielen
Stall-Nebengebäude, deren Bestimmung ihm noch nicht ganz klar war, trat ein
Engel aus dem Nebel. Eine Lichtgestalt, das lange blonde Haar umfloss sie.
Gerhard blinzelte. Doch zu viel Medizin! Schlagartig wurde es dunkler.
»Entschuldigung.
Jetzt hab ich Ihnen genau in die Augen geleuchtet.«
Gerhard blinzelte
noch mal. Das Wesen vor ihm war vielleicht kein Engel, aber es musste eine Fee
sein. Waren das diese Raunächte? Es trug ein langes, türkisfarbenes Gewand mit
einem Mieder, endlose blonde Strähnen sanken auf die Hüften herab, und es trug
einen Haarreif. Allerdings auch eine wenig feenhafte
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