Weinzirl 04 - Gottesfurcht
und die Franzi, seine große Schwester, die als Magd in Grasleiten
war, würde für zwei Tage heimkommen.
Der Schorschi stand
schon vor dem kleinen Häusl, als Hansl sich vom Torfhaus bis zu ihm
durchgepflügt hatte. Ein Bauer hatte gottlob Milch zur Straße gebracht, so gab
es eine Spur. Trotzdem war es mühsam zu gehen: Der Wind peitschte den Schnee
gegen West, es war wärmer geworden, es war nicht länger der watteweiche
Puderzuckerschnee, es waren nasse Flocken, die die Kleidung attackierten.
»Das reicht nicht in
die Kirch«, sagte der Schorschi.
»Ja und? Lieber sind
wir ein paar Minuten früher in der Schul und können uns trocknen.«
Als die beiden ihren
Klassenraum betraten, war der Lehrer schon da. Gut zweihundertvierzig Schüler
gab es und vier Lehrer. Der Herr Navratil war entsetzt.
»Himmel, Buben! Ihr
seid ja nass wie ertränkte Katzen.«
Er schnipste mit dem
Finger. Hansl und Schorschi wussten, was das bedeutete. Ausziehen bis aufs
Unterkleid und die Sachen trocknen.
Langsam füllte sich
der Raum. »Die Fuizbuam, die Fuizbuam, fressen bloß Mus und rote Ruam«,
verhöhnte sie einer.
»Halt das Maul,
sonst kriegst a Schelln«, drohte der Karli, und seine Augen funkelten wie
immer.
Die Tür ging auf,
und der Pfarrer trat ein. Die Kinder sprangen auf. »Grüüüß Gott, Herr Pfarrer.«
Sein eisgrauer Blick
schweifte über die Köpfe, blieb an Hansl und Schorschi hängen.
»Wo wart ihr,
Burschen?!«, donnerte er.
»Es war so viel
Schnee, Herr Pfarrer, wir wollten wirklich, aber der Schnee …« Schorschi war
leichenblass und stotterte.
Hansl hatte sich
erhoben, er war im Unterkleid, aber das war ihm nicht peinlich.
»Herr Pfarrer,
versuchen Sie mal, in der Früh um sechs durch den Tiefschnee zu kommen. Der
liebe Himmelpapa weiß das, der versteht sicher, wieso wir im Winter manchmal
nicht in die Kirche können.« Er klang entschlossen.
Schorschi sog hörbar
die Luft ein. Karli hatte bewundernd die Augenbrauen hochgezogen. Der traute
sich was! Puh, das war frech!
Man hätte eine
Stecknadel fallen hören. Die Züge des Pfarrers waren starr, er machte einen
Schritt auf Hansl zu, hatte den Arm gehoben. Dann ließ er ihn wieder sinken.
»Nun, Kinder, wir
wollen beten. Und du, setz dich!«, sagte er in Hansls Richtung. Nach dem Gebet
folgte eine Ansprache über Weihnachten, darüber, die Eltern zu ehren und die
heilige Kirche. Der Pfarrer begann Heiligenbildchen zu verteilen, Fleißbildchen
für die eifrigen Kirchengänger. Hansl und Schorschi bekamen keins, Karli auch
nicht.
»Du weißt, warum!«
Ein selbstgefälliges Grinsen verunstaltete die eher weichen, schwammigen Züge
des Pfarrers. Er brachte sein Gesicht dicht vor das des Jungen. »Du weißt,
warum!«
Karli konnte den
Alkohol riechen. Es war neun Uhr am Morgen!
Nach dem Unterricht
bestürmten die drei anderen Freunde Karli. »Was war los?«
Hansl präzisierte
ihrer aller Gedanken: »Heh, du bist doch ein Günstling von Hochwürden. Bei euch
hockt der doch Jahr und Tag.«
Schorschi fiel ein: »Deine Mutter und Schwester sitzen auf der Frauenseite ganz vorne in Reihe
eins. Dein Vater sitzt in der Männerreihe ganz vorne. Er hat sogar einen Platz
für euren Knecht gekauft. Im Dorf sagen sie, das ist pure Angeberei.«
Karli stampfte mit
dem Fuß auf: »Ja und! Wenn mein Vater das so will.«
»Der kann was
wollen! Wir nicht! Der hat ja wohl auch den größten Anteil für die fünf neuen
Glocken bezahlt, als der Pfarrer letztes Jahr durchs Dorf ist auf seiner
Betteltour. ›Wer braucht neue Glocken‹, hat meine Mutter damals gesagt. ›Besser
wär’s, die Berger gäben uns das Geld, dass wir was zum Beißen haben.‹ Da hat
sie doch Recht. Und sieben Stimmen im Rat habt ihr!« Hansl sah Karli ins
Gesicht.
Karli hatte Hansl am
Kragen gepackt. Wie damals im Keller fühlte er diese Wut, die aus der Angst
kam. Er wollte nicht anders sein. Nicht der Sohn des Gönners. Nicht der Sohn
der Stimmgewaltigen. Der Sohn, der immer zu essen hatte. Er wollte einer von
ihnen sein. »Halt’s Maul!«, schrie er.
Hansl war
unbeeindruckt. Er packte Karlis Hand, die seine Gurgel einschnürte, und schob
sie weg. »Mensch Karli. Wir wundern uns doch nur. Du bist aus Berg. Ihr seid
doch Geldgeber beim Pfarrer und habt was zu sagen.« Er gluckste. »Und da
kriegst ausgerechnet du kein Fleißbildchen?«
Karli hatte ihn
losgelassen und haute mit dem Handrücken gegen den Zaun. »Ja, was glaubt ihr!
Gestern war er wieder da. Zuerst hat er mitgegessen, dann
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