Weinzirl 04 - Gottesfurcht
Seines Zeichens ist auch er Schnitzer. Die Damen erinnern sich, dass er
erst kürzlich Georg Kölbl in der Werkstatt aufgesucht hat und aufs Wüsteste
beschimpft hat. Er habe ihn am Kragen gepackt und gesagt: Dich mach ich so
fertig, dass du in einen Schuhkarton passt. Josefa Heringer war mit seiner Frau
näher bekannt. Sie ist vor drei Jahren an Knochenkrebs gestorben, und seither
sei dieser Stuckenzeller völlig verbittert. Er ist wohl davon überzeugt, dass
seine Frau wegen zu hoher Strahlung Krebs bekommen hat. Unsinn, sagt Frau
Heringer dazu, aber der Mann klammere sich daran.« Irgendwie verständlich,
dachte Gerhard, dass man im Schmerz einen Schuldigen sucht. Und der Schuldige
war eben Frau Heringers Mann gewesen, und nach dessen Tod der Schwager Georg
Kölbl, der tot am Döttenbichl gelegen hatte.
»Gut, dann besuchen
wir den mal.« Baier nickte. In dem Moment forderte sein Mammut-Handy die
Aufmerksamkeit.
»Ja, das wird aber
auch Zeit«, hörte Gerhard ihn knurren. »Hätte das Ergebnis auch schon vor
Weihnachten gebraucht.« Baier schwieg einen Moment lang.
»Wie? Hätte mir vor
Weihnachten auch nichts gebracht?«
Es war wieder still.
In der Zeit überzog sich Baiers Gesicht mit einer leichten Röte. »Bitte?« Das
war mehr ein Schrei als eine Frage.
Wieder Stille, noch
mehr Rot in Baiers Gesicht. Und dann ein: »Das glaub ich jetzt nicht. Sind Sie
sicher?«
Baier kritzelte
hektisch auf einem Zettel herum. »Ja, und der andere? Was? Wie bitte?!« Baiers
Gesichtsfarbe changierte inzwischen ins Lila.
»Und?« Gerhard sah
Baier besorgt an, dessen Visage wirklich extrem ungesund aussah, und der schnaufte
wie eine alte Kreiselpumpe. Zudem stand Schweiß auf seiner Stirn.
»War das die Patho?«
»Ja!« Baier brüllte.
»Kölbl wurde erwürgt. Wie angenommen. Mit einem Gürtel. Es gibt
Lederpartikelchen am Hals. Aber nichts unter den Fingernägeln.«
»Ja, nun gut, das
wäre ja auch zu schön gewesen«, sagte Gerhard, »und Draxl?«
»Es war ein
Herzinfarkt bei Draxl. Ein hundsgewöhnlicher Infarkt! Sie sagen, dass er eine
Herzkrankheit hatte, dass die Gefäße schon stark verengt waren. Ist wohl nie
zum Doktor gegangen, der sture Tropf.«
»Öha! Des isch
kähl.« Manchmal kam das Allgäuerische einfach so über ihn. Hier komischerweise
mehr als in der Heimat. Gerhard verzog den Mund und legte die Stirn in
Dackelfalten.
»Und es kommt noch
besser: Die Fundstelle der Leiche ist nicht die Stelle, an der er das Zeitliche
gesegnet hat.«
»Was?«
»Ja, des isch in
Ihrer Sprache wahrscheinlich erst recht kähl! Die haben Druckstellen unter den
Achseln gefunden und Abschürfungen und Kratzer an seinen Beinen, die
zweifelsfrei darauf hindeuten, dass er transportiert wurde.« Baiers Lautstärke
war bedenklich. »Wir brauchen zwei ghörige Woiza. Für Erwachsene.«
Gerhard leerte sein
Leichtes in einem Zug. Baier seins auch, und Gerhard holte aus der Küche zwei
neue Flaschen. Stilecht brachte er die Gläser in Schräglage, schenkte ein und
schwenkte am Ende noch die Hefe und ließ sie ins Glas gleiten. Er nahm einen
tiefen Zug.
»Baier, Sie wollen
sagen, da hat einer den Draxl im Eibenwald gefunden, ihn zu diesem heimeligen
hohlen Baum geschleift und ihn dort dann hingesetzt?«
»Ich will das nicht
sagen, die Patho sagt das. Und die unglaubliche Geschichte geht noch weiter.
Sie haben Fingerabdrücke gefunden. Ich hatte doch gebeten, die Augenlider zu
untersuchen?«
»Ja und?«
»Es gibt Abdrücke
auf den Augenlidern.«
»Und derjenige, der
Draxl die Augenlider zugedrückt hat, hat auch Abdrücke auf Kölbl
hinterlassen?«, fragte Gerhard.
»Würde gut passen.
Ist aber nicht so. Hallo, willkommen in der beschissenen Realität! Das ist
nicht Tatort oder Rosa Roth oder Bella Block. Wieso heißen diese Frauen alle so
blöd? Nein, auf Kölbl nichts, niet! Nur die Lederpartikel. Wir müssen nur den
dazugehörigen Gürtel finden!«
»Sakra!« Mit einem
»Pfft« ließ Gerhard Luft entweichen.
Baier stöhnte.
»Weinzirl, wissen Sie, was das bedeutet? Einer bettet einen Toten, der am
Herzinfarkt verreckt ist, so um, dass er gemütlich in einem Baum zu sitzen
kommt. Die Spurensicherung muss da nochmals in den Eibenwald rein. Die müssen
rausfinden, wo er ursprünglich abgenippelt ist. Herrschaft Zeiten, da ist doch
längst nichts mehr zu finden. Weinzirl, das ist kein Ruhmesblatt!«
Er sagte nicht ›kein
Ruhmesblatt für Sie, für mich, für uns‹. Nur eben ›kein Ruhmesblatt‹. Darin war
kein Vorwurf
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