Weinzirl 04 - Gottesfurcht
Stuhl. »Also, um Ihre eingefahrenen Hirne nicht noch weiter zu
strapazieren: Ich habe keine Ahnung, ob die Dinger strahlen. Ist mir auch
wurscht. Bei den Mobilfunkgegnern bin ich, weil das meine Kunden sind. Der von
Brösig …«, auch sie betonte das »von« sehr überspitzt, »… bringt mir eine ganze
Reihe zahlungskräftiger Kunden. Münchner Damen im ausgehenden Mittelalter
zumeist, im Geld schwimmend, von Golf-Lehrer, Reitpferd und Masseur
gelangweilt. Also bin ich in der Initiative. Der Kölbl ist mir egal.«
Inzwischen hatte der
alerte Kollege Steigenberger die Fingerabdrücke überprüft, die nicht
zusammenpassten, und Melanie-die-mit-dem-Brauereiross-Hintern hatte fünf Leute
angerufen, die über Weihnachten bei Frau Kassandra gewesen waren: deren
Schwester mit Mann und drei alte Freunde und Freundinnen, wohl bekannt aus der Weilheimer
Theaterszene. Sie alle bestätigten, dass sie ab zehn Uhr am 26. beim
Weihnachtsbrunch gewesen und erst gegen neunzehn Uhr gegangen waren. Kassandra
hatte das Haus nicht verlassen, sie wäre dazu auch viel zu besoffen gewesen,
wie ihre Schwester das wenig charmant formuliert hatte. Mit Kölbls Tod konnte
sie nichts zu tun haben.
Als Kassandra
draußen war und sowohl Gerhard als auch Baier zugeben mussten, dass die Zeugen
glaubhaft waren, sagte Baier plötzlich: »Los!« Und fast ohne Übergang, immer
noch viel zu laut, fügte er hinzu: »Weinzirl, ich brauch jetzt eine Medizin!«
»Was?«
»Ich brauch jetzt
‘ne Auszeit. Keine Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Kommen Sie.«
Sie fuhren aus
Weilheim hinaus, durch flaches Land, und am Horizont standen die Berge Spalier.
Gerhard fühlte sich trotz seines Weihnachtsfrusts und der zähen Ermittlung
plötzlich leicht. Die Berge rückten einem hier noch nicht allzu dicht auf den
Pelz, sie hielten anmutig Abstand. Es war ein bisschen wie im Allgäu, wenn auch
hier jene Landschaft fehlte, die sich Schritt für Schritt, Stufe für Stufe
aufbaute, bis sie über Moore und Wiesenhügel am Ende echte felsige Größe
erreicht hatte. Hier kamen die Berge unvermittelter, aber davor dehnte sich das
Murnauer Moos und hielt alles, was bedrückte und einengte, auf Distanz. Ein
Rest von Föhn gaukelte vor, dass die Berge direkt hinter dem Klosterkomplex von
Polling aufragten. Baier blieb auf der Hauptstraße, überquerte die Ammer und
erreichte Peißenberg. Bei der Esso-Tankstelle bog Baier rechts ab und an einer
Brand-Ruine wieder links.
In dieser
Parallelstraße zur endlos langen Hauptstraße hielt Baier vor einer griechischen
Kneipe. Sie stiegen aus, gingen rein und wandten sich der Theke zu. Ein kleiner
Grieche, der Gerhard auf den ersten Blick sympathisch war, begrüßte Baier und
gab Gerhard die Hand. Strahlte ihn an.
»Grüß dich«. Er sah
Baier an. »Dein neuer Kollege?«
Baier nickte.
Gerhard nickte auch. Eine junge Frau mit rotem Haar und schwärzer denn schwarz
umrahmten Augen lächelte ihn an. Sie stellte Gerhard ungefragt ein Weißbier
hin. Das gefiel Gerhard hier.
An der Theke hingen
einige Gestalten. Köpfe ruckten kurz in Gerhards Richtung. »Servus.« Gerhard
prostete Baier zu, einige andere der Thekenbesatzung hoben ihre Gläser. Gerhard
ließ sich auf einem Barhocker nieder.
»Magst a Medizin?«,
fragte der Wirt in einem reizenden Mischdialekt aus Bayerisch mit griechischem
Akzent.
»Medizin, Ouzo
halt«, erklärte ihm sein Nachbar. »Habt ihr das auch im Allgäu draußen? Sicher!
So hinterm Mond seids ja auch nicht, oder?«
Eine Runde Ouzo ging
über den Tresen. Baier hob das Glas. »Willkommen, nochmals. Dachte, ich zeig
Ihnen gleich, wo man am besten strandet. Kenn Ihren Geschmack ja nicht, aber
bei Toni hat’s noch jedem gefallen.« Baier sprach den Wirt direkt an: »Toni,
sag! Wie war das mit deinen Leberwerten?«
»Na bestens, toll,
der Doktor war voll zufrieden.«
»Ist die viele
Medizin«, ließ Gerhards Nachbar vernehmen. »Ich war auch beim Arzt, ich bin fit
wie ein Turnschuh.«
Ein Dritter
schaltete sich ein: »Ja, da bin ich halt auch gegangen. Ich hab die Leber eines
Säuglings. Aber ich trink ja eh nur leichtes Weißbier.« Er nahm einen kräftigen
Schluck von seiner Medizin.
Leberwertvergleich,
das also beschäftigte hier. Gerhard musste grinsen. Doch, das gefiel ihm. Keine
unnötigen Fragen, keiner nervte mit Privatem oder Geschichten vom Arbeitsplatz.
Man war einfach da. Der Abend spülte immer neues Strandgut an die Theke. Eine
sonderbare Mischung Menschen, die sich alle irgendwie
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