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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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hatte er jeden Glauben verloren. Jede Hoffnung war dahin, er hatte
seine Illusionen begraben. Seine Seele und sein Herz waren tot. Ist die Seele
tot, ist nur noch Materie übrig: Fleisch, Blut, Knochen, Gene. Nichts von dem,
was ein Leben ausmacht.«
    »Aber er hat doch
hier ein Leben, ein neues Leben, und Sie haben doch sein Herz gewonnen.«
    »Nicht sein Herz,
seine Freundschaft, und die musste ich mir lange Jahre erkämpfen.«
    »Sie kennen also
seine Vergangenheit?« Gerhard begann von neuem.
    »Ja, und er war
unschuldig in dieser Besserungsanstalt, wo es nichts zu bessern gab, nur zu
verschlimmern.«
    »Er hat Ihnen also
davon erzählt?«
    »Ja. Er hat sie
nicht umgebracht, aber er war das Bauernopfer.« Sie lachte bitter. »Ein schönes
Wortspiel, nicht wahr? Der junge Laberbauer, das Bauernopfer.«
    *
    Fuizbuam
Spätsommer 1957
    Es war früh, als er
das Knarzen hörte. Früh für einen Sonntag. Den letzten im August. Vorsichtig
schlüpfte er aus dem Bett. Der Vater schlich die Treppe hinunter, in der Hand
hatte er die schweren Bergschuhe.
    Es war ein Impuls,
dem Karli gehorchte. Er sprang in seine Kleidung, packte die festen Schuhe und
folgte dem Vater. Der war in der Küche und warf Lebensmittel in einen Rucksack
und eilte davon. Karli hinterher über die morgenfeuchten Wiesen. Der Vater
hielt auf den Bahnhof zu. Wollte er verreisen? Karli folgte ihm, suchte immer
wieder Deckung, aber sein grimmig dreinblickender Vater hätte ihn wohl nicht
bemerkt, selbst wenn er laut pfeifend hinter ihm hergehüpft wäre. Am Bahnhof
stand sie. Karlis Vater schob sie regelrecht in den ankommenden Zug. Es war
wieder nur ein Sekundenbruchteil, in dem Karli wusste, dass er in ein Abteil
schlüpfen würde. Als die Eisenbahn losruckelte, saß er nur einen Wagen von den
beiden getrennt. Wohin wollten sie? Die Antwort ließ länger auf sich warten,
denn die Fahrt dauerte an. Mit Wartezeiten und Umsteigen. In Oberammergau
stiegen sie aus.
    Vom Bahnhof
marschierten sie dorfeinwärts und an der Großen Laine entlang Richtung Berge.
Sie waren zügig auf dem Almweg bergan unterwegs, und bis zur Soile Alm gingen
sie schweigend. Auch noch bis zum Soile See.
    Sie hatte ihr Haar
in zwei lange Zöpfe geflochten, eine Strähne hatte sich gelöst, und sie strich
das Haar aus der verschwitzten Stirn. Sie atmete schwer. Der Vater reichte ihr
eine Flasche. Der Wind wehte ihre Worte herüber. »Das ist ja Bier?«
    »Wir sind in Bayern,
Wasser kannst zu Hause saufen.« Sie nahm einen ordentlichen Schluck und wischte
sich mit dem Handrücken über den Mund. Wieder ein tiefer Atemzug.
    Er reichte ihr ein
Brot und eine dicke Scheibe G’räucherts. Sie schlang gierig und nahm wieder
einen großen Schluck aus der Bügelflasche. »Hab ich einen Hunger.«
    »Ja, Madl. So ist
das im Gebirge. Du wolltest doch eine echte Bergtour machen«, hörte Karli den
Vater sagen.
    »Ich wollte einen
Ausflug machen. An den Staffelsee, davon haben sie so viel erzählt. Von den
Inseln. Wir hätten ein Picknick machen können am Ufer. Ich wollte keine
Bergtour machen.« Der Blick, den sie talwärts schickte, war eher verzweifelt.
»Ich bin nicht schwindelfrei. Ich kehre um.«
    Plötzlich ging eine
merkwürdige Veränderung im Vater vor. Er zog sie an sich, küsste sie, flüsterte
ihr etwa ins Ohr. Dann machte er eine großspurige Handbewegung und begann ganz
laut und auch für Karli gut hörbar eine krude Geschichte zusammenzufabulieren.
Sie lauschte gebannt. Es ging darum, dass der Name Laberbauer vom Laber stamme
und ein Erstbesteiger des Ettaler Manndls einer der Vorfahren gewesen sei. »Du
bist die erste Frau, die ich dahin mitnehme.«
    Karli war versucht,
loszustürmen, den Vater zur Rede zu stellen. Was redete er da? Das war doch
alles erstunken und erlogen! Das musste sie doch merken! Aber sie gab ihm die
Flasche zurück und sagte: »Das ist lieb!«
    »Und einen See hast
du hier auch«, fügte er noch an und machte noch so eine Handbewegung über den
See hinweg, so als wäre der runde Bergsaphir sein Verdienst. Als wäre er der
Schöpfer. Sie waren weitergegangen, bis sie am Fuße des Ettaler Manndls
standen. Wolken schoben sich immer wieder vor die Sonne, trotz der Höhenlage
war es drückend schwül. Licht- und Schattenflecken reisten über die Wände. Wie
ein zerfurchter faltiger Elefantenrücken hob sich der steinerne Gipfelbereich
gegen den Himmel ab.
    »Dahinauf?« Magdas
Blick war dem seinen gefolgt.
    »Natürlich. Zu einer
Bergtour gehört ein

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