Weinzirl 04 - Gottesfurcht
Gipfel.«
»Das schaffe ich
nie.« Karli vernahm die Angst und die Entkräftung. »Außerdem habe ich Blasen.«
Sie trug braune Halbschuhe, die sich wahrscheinlich in Gelsenkirchen als
praktisch erwiesen, aber nicht im Fels.
»Du kleines
liederliches Mensch! Stadtluder. Und du willst hier bei mir bleiben, wenn du
nicht mal auf so einen lächerlichen Hügel kommst?« Karli fror auf einmal.
Diesen Tonfall kannte er nur zu gut. Wie oft hatte ihn der Vater so verspottet.
Und er hatte versucht ihm zu gefallen, vor allem, damit der Spott aufhörte. Das
hatte immer funktioniert. Es war eine Falle, eine heimtückische Falle, aus der
es kein Entrinnen gab. Jetzt, wo er nicht selbst betroffen war, war das sonnenklar.
Es war beschämend, dass Magda genauso reagierte, wie der Vater es vorhergesehen
hatte. Sie bettelte um Anerkennung und kletterte los. Der Vater war hinter ihr,
ab und zu schob er sie weiter, die Hände zwischen ihren Beinen. Karli gab ihnen
einen Vorsprung, dann glitt er hinterher. Behände wie eine Katze, vorsichtig,
um keine Steinchen loszutreten. Inzwischen weinte sie, immer wieder wehte der
Wind ihr Schluchzen herüber. Karli kletterte, und er war fast gleichzeitig mit
den beiden oben. Nun war ihm alles egal.
»Vater!« Er schrie
regelrecht. »Was jagst du Magda hier herauf, du siehst doch, dass sie nicht
mehr kann.«
Der Vater fuhr
herum. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt. »Magda, soso! Seids es per Du?
Das kleine Stadtluder und der Karli, was mein Sohn sein will. Hättest sie wohl
gerne, die Magda? Aber da war dein Voder schneller.« Er lachte und lachte, und
es war, als würde sich das Lachen wie Donnergrollen über den Gipfeln
fortsetzen. An den Wänden abprallen und weiterlachen. Es war, als würde die ganze
Bergwelt Karli auslachen.
»Lass ihn!« Magda
stolperte einen Schritt auf ihn zu. »Was machst du hier, Karli?«
Da packte der Vater
sie am Handgelenk und riss sie zurück. »Was er macht? Spionieren tut er, mein
sauberer Herr Sohn! Spionieren!«
»Jetzt lass ihn
doch«, sagte Magda. »Wir müssen ihm doch sowieso sagen, dass wir heiraten.«
»Wir müssen gar
nichts. Heiraten, was glaubst du denn du Fluckn? Ein Laberbauer und ein kleines
Luder aus der Stadt. Ich habe eine Frau, die anpacken kann.«
»Aber du hast doch
gesagt, du liebst sie nicht.« Magdas Augen waren riesig groß, sie war sehr
blass und hatte rote Flecken auf den Wangen.
»Liebe! Weiberkram!
Du sollst die Beine breit machen, mehr nicht. Und das Maul halten.«
Sie begann
hemmungslos zu schluchzen und trommelte auf seine Brust ein. Er hatte sie
gepackt und lachte. Ihre Stimme, verzerrt vom Weinen, war schrill. »Dann sag
ich es deiner Frau und dem ganzen Dorf. Und dass das Kind von dir ist. Ich hab
es meiner Freundin erzählt.«
»Das wirst du nicht
tun. Niemals. Du wirst keine Gelegenheit dazu haben.« Er hatte sie gepackt und
riss sie herum, direkt an die Felskante.
»Vater! Vater! Um
Himmels willen!« Karli stürzte auf die beiden. Doch bevor er sie erreichte,
versetzte der Vater ihr einen Stoß. Karli sah den Ausdruck in ihren Augen.
Erstaunen. Sie überschlug sich, ihre Gliedmaßen wirbelten durcheinander wie bei
einer Strohpuppe. Ihr Kopf schlug gegen Felsen, und dann blieb sie liegen. Weit
unten. Karli starrte hinunter. Ein Schrei wie tausend Schreie entfuhr seiner
Brust. »Vater! Du hast sie gestoßen!«
»Wer sagt das?« Die
Miene des Vaters war versteinert.
»Vater, du hast sie
gestoßen! Ich hab es gesehen.«
»Du hast das
gesehen? Du? Was willst du gesehen haben? Es sind nur wir zwei hier heroben. Du
und ich? Wem werden sie wohl glauben? Mir, dem Laberbauer, oder dir
Rotzlöffel?«
Da hob Karli die
Hand und schlug dem Vater ins Gesicht. Er hatte keine Chance eine Deckung
hochzureißen. Die Augenbraue platzte und Blut rann heraus. Der Vater stand nur
da.
»Das wirst du bereuen.«
Karli kletterte
eilends hinunter. Sie lag da wie eine Puppe mit verrenkten Gliedmaßen. Ihre
Nase war gebrochen und blutverschmiert. Auf ihrer Stirn klaffte ein Loch. Einer
ihrer Zöpfe war blutgetränkt und kringelte sich neben ihrem geschundenen Körper
wie eine blutende Schlange. Karli wusste nicht, wie lange er dagestanden hatte.
Bergsteiger kamen aus dem Tal herauf.
»Was ist
geschehen?«, fragte einer. Da vernahm Karli eine Stimme in seinem Rücken.
»Mein Sohn hat diese
Frau vom Manndl gestoßen. Sie wollte ihm ein Kind anhängen.«
Alles lief in
Zeitlupe ab. Karli drehte sich ganz langsam um. Er sah nur noch das
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