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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Gesicht
seines Vaters. Riesengroß. Es erfüllte alles. Die Augen waren eiskalt. Nur ein
Tick von Spott lag in den Augenwinkeln. Jemand sagte etwas, noch jemand. Es
mussten diese Bergsteiger sein. Karli spürte eine Hand auf seinem Arm. Die Zeit
begann wieder zu laufen, zu rennen, und mit ihr riss er sich los und rannte
bergab. Er stürzte, schlug sich das Knie auf und rannte, den Teufel im Nacken.
    Erst oberhalb des
Klosters Ettal hielt er inne. Und weinte, und mit seinem Weinen begann der
Sturm. Das Gewitter kam schnell, der Donner hallte wider an den Wänden, die
Blitze zuckten in einer wilden entfesselten Ekstase. Gebirgsgewitter. Das
Grollen der Berggötter. Karli reckte die Hände himmelwärts, machte sich groß,
balancierte auf den Zehenspitzen und flehte zum Himmel, der Blitz möge ihn
treffen. Diese Gnade wurde ihm nicht gewährt. Er blieb drei Tage draußen, war
wie erstarrt. Saß an einen Baum gelehnt, nur ein Bild vor Augen. Unfähig sich
zu bewegen, nun auch unfähig, noch mal zu weinen. Die Tränen für ein ganzes
Leben waren mit dem Regen des Gewitterinfernos davongeflossen, ein Strom von
Tränen. Er lief in der Nacht. Über Oberammergau und Saulgrub, weiter nach
Baiersoien und in die Schöffau. Immer in den Wäldern. Als er Grasleiten sah,
gab er sich einen Ruck und marschierte weiter. Es war am vierten Tag, als er in
Maxlried an Hansls Fenster klopfte. Agi öffnete, und ein spitzer Schrei entfuhr
ihr. »Jesus Maria, Bub!« Sie zog ihn schnell herein. Hansl kam aus seiner
Kammer.
    »Karli, die suchen
dich seit Tagen!«
    Karli sank auf einen
Hocker, Agi drückte ihm Brot in die Hand und Käse, ihre ganzen Kostbarkeiten.
Sie goss ihm Milch ein. Er verschlang alles und schwieg.
    Hansl wartete.
»Karli, die suchen dich. Hörst du?«
    Karli nickte.
    »Dein Vater hat
gesagt, du hättest die Magda vom Manndl gestoßen, sie haben ihre Leiche
gebracht. Ich hab sie gesehen. Sie sah schrecklich aus. Karli!« Hansl starrte
ihn angstvoll an.
    Karli brachte so
etwas wie ein verzerrtes Lachen hervor, nur ein Lachen. »Ich wusste, dass der
Voder das tut. Er war’s, er war’s. Ich doch nicht!«
    Agi hatte die Hand
vor den Mund gepresst. Ihre Auge waren riesengroß. »Bub, weißt du, was du da
sagst? Du beschuldigst deinen Vater, deinen eigenen Vater?«
    »Meinen Vater, den
großen Laberbauer. O ja! Er hat ihr ein Kind gemacht. Er hat sie gestoßen. Ich
habe es gesehen. Gott ist mein Zeuge.«
    »Aber der wird nicht
für dich aussagen, Bub«, sagte Agi leise. Hansl schaute seine Mutter überrascht
an, auch Karli betrachtete sie, als sähe er sie zum ersten Mal im Leben. Die
abgearbeitete Frau, die höchstens vierzig sein konnte und doch so viel älter
aussah. Die grauen Strähnen, die schwieligen Hände, die magere Gestalt, die
immer ein bisschen gebückt ging und zu Boden sah. Jetzt stand sie ganz gerade
und schaute den Jungen fest in die Augen. »Gott legt kein Zeugnis für dich ab.
Das ganze Dorf denkt eh längst, dass du es warst. Der Pfarrer predigt es von
der Kanzel, dass wir einen Mörder unter uns haben. Was bist auch so lange
ausgeblieben. Der Pfarrer sagt, das sei ein Schuldeingeständnis.«
    »Ich konnte einfach
nicht zurückkommen. Ich, ich, ich war wie gelähmt. Aber ich war es nicht!«
    »Und wenn!«
    »Glaubt ihr mir
denn?« Aus Karlis Stimme sprach pure Angst.
    Agi schaute ihn lange an. »Ja, ich glaube dir.« Und Hansl. »Ja, ich glaube dir. Ich habe
gestern den Pfarrer und deinen Vater am Heim gesehen. Sie haben mit der Frau
mit den kurzen Haaren getuschelt. Hinten bei der Turnhalle, es war schon
dunkel. Ich hab gesehen, dass dein Vater ihr Geld gegeben hat.«
    »Schweigegeld!«,
sagte Agi düster.
    »Aber das musst du
erzählen!«, rief Karli.
    Agi legte ihre Hand
auf seinen Arm. »Bub, wir sind Tagelöhner, Hansl ist ein Fuizbua ohne Vater. Seine
Mutter lebt von Gelegenheitsarbeit und Almosen aus Achberg.« Sie lachte bitter.
»Wir können erzählen, was wir wollen. Die lassen uns nicht mal vor. Ungeziefer
lässt man nicht vor beim Laberbauer und beim Pfarrer.«
    In dem Moment hörte
man schwere Stiefel, dann wurde die Tür aufgerissen. Der Laberbauer mit Gefolge
anderer Berger stürmte herein. »Dachte ich es mir doch, dass du bei diesem
Gschwerl Unterschlupf suchst.« Er packte Karli am Arm, riss ihn hoch und zerrte
ihn zur Tür.
    Da stand Agi auf.
»Karl, du musst mitgehen, sei stark. Und du, Laberbauer, schleich di samt
deinen Schergen. Und vergiss nie: Dir wird’s vergolten, irgendwann.

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