Weinzirl 04 - Gottesfurcht
nichts
hinterlassen als Fingerabdrücke an diesem Schnitzvieh. Die könnten auch anders
dahin gekommen sein. Der skelettierte Pfarrer, wenn er es denn ist, muss nicht
auf sein Konto gehen, und die Sache mit dem Silounfall ist pure Spekulation.«
»Verdammt, Evi, du
bist nicht sein Anwalt.«
»Nein, aber du
solltest dich nicht verrennen. Bewahre deinen klaren Blick. Kill your ideals .
Hat mir mein früherer Chef mal beigebracht. So ein blonder Chaot, arbeitet
jetzt in Weilheim.«
»Schön, dass du was
gelernt hast von deinem alten Trottelinspektor. Muss ja ein kluger Typ gewesen
sein. Ich glaube, er hätte darauf bestanden, mit Filleböck zu reden.«
»Ma muas bloß allat
schwätza mit de Leit«, äffte Evi ihn nach. »Also schwätzen wir mit ihm. Ich versuche
in der Zwischenzeit, noch mehr über ihn herauszubekommen. Wann seid ihr da?«
»In eineinhalb
Stunden?«, sagte Gerhard. »Wo in Zaumberg?«
»Du weißt, wo
Baldaufs wohnen?«, fragte Evi.
»Ja.«
»Gleich nebenan.«
*
Fuizbuam
Sommer 1967
Karl ging nach Wildsteig
hinein und hielt ein Auto an. Er hätte überall hinfahren können. Aber der Mann
im Auto fuhr ins Allgäu. Auch gut, sehr gut sogar, denn er fragte nichts und
sagte nichts, bis sie in Lechbruck über die Brücke gescheppert waren.
»Was duasch im
Allgei?«, fragte er.
Karl zuckte die
Schultern. In der Anstalt hatte es einen Allgäuer Jungen gegeben, aus »Fiasa«,
wie er das ausgesprochen hatte. Von dem hatte er Nützliches gelernt.
Taschendiebstahl, mit Dietrichen umzugehen und Allgäuerisch.
»Schaffa?«
Karl sah ihn
verständnislo an.
»Wöttsch eabbas
schaffa?«
Karl nickte.
»Guat. Kennsch di
mit Maschina aus?«
Karl nickte. »Ich
bin Landwirt, wir hatten schon sehr früh moderne Maschinen.« Das war zehn Jahre
her, aber er hatte nichts mehr zu verlieren.
»Guat. Kommsch am
Mondäg in d Sonthofner Stroaß, dettmoals Riedel Motorenwerke. Hosch mi?
Froagsch nach Sepp Filleböck.«
Karl nickte. Als er
sich am Montag gegen sechs Uhr am Tor herumdrückte, hatte er Zeit, zu erfassen,
worum es hier ging. Das Gespräch mit einem sehr redseligen Pförtner eröffnete
ihm das Wichtigste. Das hier war Kunert, der Socken- und Strumpfhersteller. Der
Held der Damenwelt, dessen hochelastisches Garn »Chinchillan« 1965 patentiert
wurde. »Mir hond Fabrika in Fischa, Staufa, St. Mang«, erklärte der Pförtner.
Der Filleböck war laut seinen Aussagen ein hohes Tier. »So mit m Filleböck
hosch du zum dua, Reschpekt!«
Der Filleböck, der
Herr Maximilian Filleböck, holte Karl gegen acht Uhr höchstselbst beim Pförtner
ab. »Mir hond do Italiener, Griecha, alls hond mir. Do kasch du au bei is
schaffa.« Er gab ihm einen Job als Maschineneinsteller, ohne nach Karls
Geschichte zu fragen. Arbeitskräfte waren knapp, Gastarbeiter kamen in Scharen,
deren Geschichte interessierte ja auch niemanden. Es war Filleböck, der Karl
nach einem Jahr Bewährungsfrist nach St. Mang schickte, wo er nach einem
weiteren Jahr Vorarbeiter und bald die rechte Hand der Ingenieure wurde. Karl
wurde zu einer Integrationsfigur zwischen den Akademikern und den Arbeitern. Er
redete sehr wenig, aber wenn er sprach, ging etwas Starkes von ihm aus.
Es war 1970, als er
Maria Filleböck, die »kleine« Schwester seines Mentors, kennen lernte. Karl war
dreißig, Maria war einunddreißig und arbeitete bei Kunert in der
Werbeabteilung. Sie war nicht schön, sie hatte Aknenarben im Gesicht. Sie war
gezeichnet, und genau deshalb hatte Karl Zutrauen zu ihr. Sie war leise, ganz
anders als ihr umtriebiger Bruder. Karl erinnerte sich sein Leben lang an ein
Gespräch, geführt auf einer Gartenparty bei niemand Geringerem als Julius
Kunert. Sie saß neben ihm auf einer Hollywoodschaukel und trank Bowle.
»Sie sind so
distanziert-kühl und professionell. Sie inszenieren sich so, als ob das Leben
keine Spuren hinterlassen hätte. Ich habe Sie beobachtet. Das Leben hat Spuren
hinterlassen, an Ihnen eine ganze Menge. Aber Sie zeigen wohl nie, wo die
Narben sind. Nun gibt es zwei Zugänge: Manche Menschen zeigen ihre Narben und
Wunden offen, sie sind ruppig, sie kaspern rum und sind Meister der
Selbstverstümmelung. Mein Bruder gehört dazu. Er hat den Tod unserer Eltern nie
verwunden. Das Haus ist abgebrannt, nur wir Kinder haben überlebt. Andere sind
immer verbindlich und glatt. So wie Sie! Beides ist Selbstschutz, beides hilft
nicht wirklich weiter.«
Karl hatte sie
angesehen. »Warum denken Sie über mich nach?«
»Weil Sie
Weitere Kostenlose Bücher