Weinzirl 04 - Gottesfurcht
seiner eigenen Wohnung verloren, sein Kopf ruckte umher, um das
Singen zu orten. Dann erst wandte er sein Gesicht dem Fernseher zu.
Die Kamera hatte
eine Messehalle im Bild. Natürlich, es war die grüne Woche, die gerade in
Berlin begonnen hatte. Die Kamera zoomte ein Kunstrasenstück heran, aus dem
Plastikblumen stakten, darauf war ein Holztisch platziert. Dazu eine Bank, im
Hintergrund sollte ein ebenfalls mit Plastikblumen umranktes Gitter die
Illusion von Gartenlaube vermitteln. Drei Männer saßen da, einer mit Hackbrett,
ein anderer mit Ziehharmonika, und sangen. Im Vordergrund stand Ministerin
Künast neben einer Moderatorin in einem engen Schlauchkleid, das viel Dekolleté
und ein wenig spitzes Knie frei ließ. Dann kamen Stiefel, die in merkwürdig
geformten Absätzen endeten. Beide Frauen schauten fast gerührt den Männern zu.
»Bin i da boarisch Hiasl, koa Jaaga hat a Schneid …« Wieder dieser Tenor! Aber
hörten die das denn nicht? Der Bass fehlte, der Bass, der doch alles abrundet,
auffängt, umschmeichelt. Als die Männer schließlich verstummten, begann Frau
Künast zu klatschen, die Moderatorin trat einen Schritt auf die Männer und rief
frenetisch:
»Ist das nicht
wunderbar, echtes bayerisches Brauchtum hier beim Hauser Dreigesang. Eine
Komposition vom legendären Pauli Kiem.«
Die Kamera schwenkte
weg von der Szene hinein in den Gang, wo zwei Mädchen in Dirndln mit Krönchen
geschmückt entlangschritten. Die eine trug eine Käseplatte, die andere einen
Bocksbeutel. Die Bestiefelte lud sie mit einer Handbewegung ein, sich neben
Frau Künast zu stellen. Shakehands, Komplimente für die Damen, die sich als
Milch- und Weinkönigin zu erkennen gaben und brav ihre einstudierten PR -Reden über die Authentizität – Frau
Milchwirtschaft brach sich an dem Wort fast die Zunge ab – der bayerischen
Regionen und ihrer Landwirtschaft herunterleierten. Von dem folgenden Gespräch,
in dem die Ministerin irgendwas versprach und die Mädels artig nickten, bekam
Karl wenig mit.
Denn sein Blick war
auf die drei Männer geheftet, die wieder zu singen begonnen hatten. Leise nur,
sozusagen als Hintergrundmusik. »Juhe, frisch auf zum Schiaßen frei …« Der Bass,
wo war der Bass? Wieder rauschten Orkanstürme durch seinen Kopf, er blinzelte,
lauschte: Es klang wie immer, aber der Bass! Spürten die das wirklich nicht?
Als würde ein Loch klaffen, ein tiefes!
Da saßen sie: Der
Hansl in einem karierten Hemd, braun gebrannt, und noch immer war viel übrig
von seiner zähen Vitalität. Der Schorschi in einer Walkweste sah zwar so
richtig rausgefressen aus, er, der früher so ein zaunrackendürrer Bub gewesen
war, aber er wirkte immer noch unbedarft, wie ein liebes Schaf, das keinem was
zuleide tun kann. Pauli trug einen Lederjanker, Nase und Augen zeugten von
Alkoholgenuss. Rote Augen, als hätte er Heuschnupfen, saßen über einer fein
durchäderten knolligen Nase in Rotlila, die man sich nicht bloß mit Bier
ersaufen kann. Da müssen einige Kurze mit einhergehen.
Die Übelkeit kam nun
in einer weiteren, viel stärkeren Welle. Gedanken, Gedankenfetzen tanzten einen
Veitstanz in seinem Kopf. Worte formten sich, Worte, Vorwürfe, die er
rausschreien wollte, aber irgendwie gelang es ihm, diese runterzuschlucken.
Dorthin, wo sein Magen sowieso schon revoltierte. Er fixierte den Bildschirm.
Die beiden Mädels
hatten inzwischen ihre Ware abgestellt, Stühle wurden gerückt, Weingläser
arrangiert. Nun verkostete man in fröhlicher Runde und unter nicht enden
wollenden Lobeshymnen Käse und Wein, bis die Kamera die Moderatorin voll
erfasste. Sie prostete den drei Männern zu und wandte sich verschwörerisch an
Schorschi.
»Herr Kölbl, Sie
haben mir vorher hinter den Kulissen eine reizende Geschichte erzählt.«
Schorschi, noch nie
der Schnellste, schaute erschreckt.
»Dass Sie sich so lange kennen«, half ihm die Moderatorin auf die Sprünge.
»Ja, seit der Schul,
immer schon.«
Hansl mischte sich
ein. »Ja, wir waren so ein Trio Infernale, wir haben uns zwar ein bisschen aus
den Augen verloren …«
»Ja?«, flötete die TV -Lady.
»Ja, aber so eine
Kameradschaft ist doch heilig, und unser Dreigesang darf nicht sterben, fanden
wir! Wir sind eigentlich schon ewig nicht mehr aufgetreten, aber für die
Berliner Woche haben wir eine Ausnahme gemacht.«
Die Moderatorin gab
sich euphorisch. »Das find ich so schön, so schön! Ich hoffe, wir hören Sie
jetzt wieder öfter.« Sie zwinkerte. »Und da haben
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