Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
Vom Netzwerk:
kenne. Wieso ich eine solche Kostbarkeit besitze. Unbedingt besitzen musste.«
    Stolzenburg war wieder in den Sessel zurückgesunken, dieser dicke Mann, dieses Walross von einem Verleger machte ihn neugierig.
    »Nein, tut mir leid, ich habe keine Ahnung.«
    »Dann sind Sie nicht der Weiskern-Spezialist, für denich Sie hielt. ›Friedrich Wilhelm Weiskern – ein sächsischer Komödiant erschafft das Burgtheater‹, sagt Ihnen das etwas?«
    »Selbstverständlich. Das ist der Titel einer Doktorarbeit über Weiskern. Eine sehr hilfreiche und fleißige Dokumentensammlung, eine uralte Arbeit.«
    »Uralt? So, so, was Sie nicht sagen! Also uralt?«
    »Ja, vor Jahrzehnten geschrieben, aber immer noch brauchbar. Eine der wenigen Doktorarbeiten zu Weiskern.«
    »Eine der wenigen?«, der Verleger lachte auf. »Junger Mann, das ist nicht eine der wenigen Doktorarbeiten zu Weiskern, es ist die einzige. Und wissen Sie, wer sie verfasst hat? Ja, genau, der Verfasser, Jürgen Richter, das bin ich, der einzige Dissertant zu Friedrich Wilhelm Weiskern. Und darum wollte ich den anderen Mann in Deutschland kennenlernen, der sich mit Friedrich Wilhelm Weiskern beschäftigt. Ich habe recherchieren lassen, eine Doktorarbeit haben Sie zu Weiskern nicht verfasst.«
    »Ich war damals noch mit der Spätromantik …«
    »Ja, ja. Und bei der Gelegenheit hat sich herausgestellt: Jürgen Richter ist immer noch der Einzige, der eine größere Arbeit zu Weiskern verfasst hat. Weltweit der Einzige. Na, jetzt habe ich Sie verblüfft, nicht wahr. Gerade noch dachten Sie, was ist das nur für ein ungebildeter, geldgieriger Kerl, ein Verleger, der von Kunst und Literatur keine Ahnung hat, nicht wahr? Seien Sie ehrlich, Herr Stolzenburg.«
    »Und wie kamen Sie damals an Weiskern? Warum schrieben Sie über ihn Ihre Dissertation?«
    »Aus Arroganz. Mein Doktorvater sagte, kein Schweinwürde sich mit diesem Weiskern auseinandersetzen, aber wenn ich es trotzdem versuchen wolle, er würde mich unterstützen. Ich machte es nicht trotzdem, sondern deswegen. Die zweimillionste Doktorarbeit zu Goethe oder Kleist, nein, das war nichts für mich, nicht für einen Jürgen Richter. Ich wollte immer schaffen, was die anderen nicht können.«
    Stolzenburg lächelte nun. Wenn es auf der Welt einen Menschen gibt, der für sein Projekt zu gewinnen war, dann muss es dieser merkwürdige Verleger sein.
    »Sie haben mich verblüfft, Herr Richter«, begann er und strahlte den dicken Mann an, »weit mehr als nur verblüfft. Ich hatte nie geglaubt, jemals einen Menschen zu treffen, der mit dem Namen Weiskern etwas anfangen kann, der sogar ein Weiskern-Fachmann ist. Ihre Doktorarbeit kenne ich natürlich, ich wusste, dass der Verfasser Richter heißt, doch es gab keine weiteren Arbeiten von diesem Richter, weder zu Weiskern noch zu anderen Themen. In der Wissenschaft tauchte dieser Jürgen Richter nirgends mehr auf. Ich ahnte nicht, dass Sie es sind, der große, bekannte Verleger. Meine Verehrung, Herr Richter, Sie sind einzigartig.«
    »Ich weiß.« Der Verleger nickte.
    »Und ich glaube, Sie sind der richtige Mann für meine Ausgabe. Seit Sie mich mit dieser Kostbarkeit überraschten, erwartete ich eigentlich, dass Sie auf den Tisch schlagen und sagen: Ich verbiete Ihnen, das Gesamtwerk von Weiskern bei irgendeinem anderen Verlag herauszugeben, für Weiskern komme nur ich in Frage, kein anderer Verlag, kein anderer Verleger.«
    »Schön, sehr schön. Sie gefallen mir. Doch Sie sind drei Jahrzehnte zu spät dran. Ich habe den Verlag vordreiunddreißig Jahren gegründet. In den ersten zwei Jahren habe ich ihn von meiner kleinen Wohnung aus betrieben, das kostete mich schließlich die erste Ehe. Aber wären Sie damals zu mir gekommen, ich hätte sofort zugesagt. Mein Verlag wäre zwar nach zwei Jahren in Konkurs gegangen, ich hätte mit der Ausgabe viel mehr Geld verloren, als für ein kleines Unternehmen bekömmlich ist, und Sie hätten ganz gewiss keinen einzigen Pfennig zu sehen bekommen. Aber vielleicht wären die Weiskern-Bücher erschienen, vielleicht. Nein, nein, heute werden Sie mich dazu nicht mehr überreden können. Als Doktorand fand ich es toll, etwas zu machen, von dem keiner etwas weiß und versteht und was keinen interessiert. Das gefiel mir, das gab Kraft. Aber heute veröffentliche ich in meinem Verlag Bücher, die jeder lesen will.«
    »Herr Richter, Sie sind vermutlich der einzige Mensch in ganz Deutschland …«
    »Lassen Sie es gut sein. Mein Nein ist

Weitere Kostenlose Bücher