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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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definitiv. Ich bin nicht mehr sentimental, das wäre in meinem Alter einfach lächerlich. Nein, Weiskern im Richter-Verlag, das werden Sie nicht erleben.«
    »Und als Sponsor? Wenn Sie bereit wären, die Ausgabe finanziell zu unterstützen, wäre vielleicht ein anderer Verlag zu gewinnen.«
    »Keine gute Idee. Sie kennen das Verlagsgeschäft nicht, Herr Stolzenburg. Für Ihre Ausgabe wäre es kontraproduktiv, wenn mein Unternehmen das Projekt eines kleinen Nischenverlags unterstützen würde. Sie würden das Gegenteil erreichen. Nein, aber ich werde Ihnen helfen. Wie umfangreich wird die Ausgabe? Wissen Sie das schon?«
    »Alles in allem, drei bis vier Bände.«
    »Nein, das ist Unsinn. Ausgeschlossen. Es werden zwei Bände. Mehr verträgt der Markt nicht. Zwei Bände und maximal sechzehnhundert Seiten. Haben Sie mich verstanden? Die Zeit der unendlich dicken Ausgaben ist vorbei. Keiner kauft mehr zwölfbändige Gesamtwerke. Das war was für unsere Großeltern, aber die hatten auch noch Bücherschränke. Gehen Sie mal in die Möbelhäuser, da werden Bücherregale gar nicht mehr angeboten. Tempi passati. Darauf müssen Sie sich einrichten. Also zwei Bände und keiner mehr als achthundert Seiten.«
    »Aber es soll eine Gesamtausgabe werden, es braucht ein Vorwort, einen kritischen Kommentar, eine Biographie.«
    »Natürlich, unbedingt, unbedingt! Aber Ihr Buch soll den Kunden zum Kauf verführen, es darf ihn nicht erschlagen. Ihr Verleger, den Sie hoffentlich bald finden, und seine Verlagsvertreter, der Buchhandel und vor allem die Buchhaltung Ihres künftigen Verlages werden bei der Ausgabe auch ein Wörtchen mitreden. Ein einziges, und zwar ein entscheidendes. Und das lautet, ich verrate es Ihnen schon heute, das Wörtchen lautet: allerhöchstens zwei Bände.«
    »Vielleicht haben Sie recht.«
    »Ich habe recht, das ist mein Beruf, anderenfalls wäre ich längst insolvent. Und mehr noch, ich werde Ihnen helfen. Ich habe mich mit Ihnen und Ihrem Projekt vor Ihrem Besuch beschäftigt. Ich glaube, Sie sind der Mann für meinen Weiskern, Sie können es schaffen. Und hier ist die erste Bestellung für die Ausgabe.«
    Der Verleger reichte ihm einen Briefbogen über den Tisch.
    »Nehmen Sie. Das ist eine Blanko-Bestellung. Ich kaufe hundertfünfundzwanzig Exemplare! Garantiert! Das hilft Ihnen, das hilft dem tollkühnen Verleger, wer immer der Unglücksvogel sein wird, und es beruhigt mein Gewissen.«
    »Sie bestellen einhundertfünfundzwanzig Exemplare und wissen nicht einmal den Preis. Die Ausgabe wird teuer, vermutlich sehr teuer.«
    »Mein Lieber, ich bin Verleger, ich weiß, was das kosten wird. Was es kosten muss. Und sollte die Rechnung zu hoch ausfallen, dann rede ich mit Ihrem Verleger und sage ihm, was ich zahle. Wenn ich von Ihrem Jahrhundertwerk hundertfünfundzwanzig Exemplare kaufe, dann wird er nolens volens auf meine Vorstellungen über den Kaufpreis eingehen.«
    »Und warum so viel? Was wollen Sie damit anfangen?«
    »Das wird mir ein besonderes Vergnügen werden, Herr Stolzenburg. Alljährlich zum Jahreswechsel verschicke ich an die Freunde des Verlags ein Präsent. Manchmal eine besonders schöne Ausgabe des Richter-Verlags, manchmal eine Kiste Wein, einen besonders guten Whiskey. Früher gab es auch mal eine kleine Kiste Havanna, als das noch verboten war. Heute kann ich kubanische Zigarren kaufen, so viel ich will, aber nun ist das Rauchen nicht mehr comme il faut. Wenn Ihr Buch erscheint, gönne ich mir den Spaß, meinen Geschäftspartnern und Freunden und dem ganzen Rattenschwanz von Schnorrern unseren Weiskern zu verehren. Sie werden nichts damit anfangen können, ihn zum Trödler schaffen, aber Sie müssen sich bei mir bedanken und so tun, als hätten sie Weiskern gelesen. Und darum hoffe ich, Sie haben Erfolg, damit ich meinen Spaß habe.«
    Er lachte dröhnend und strahlte Stolzenburg mit diebischer Freude an.
    »Und Sie selbst bringen die Werkausgabe auf keinen Fall? Gerade Sie, der einzige Kenner von Weiskern auf der ganzen Welt, der einzige mit einer Doktorarbeit zu ihm? Und Sie haben auch noch einen Verlag, sind Verleger. Es wäre das Natürlichste der Welt …«
    Plötzlich erstarb das Lachen des Verlegers, seine Miene verfinsterte sich. Von einer Sekunde auf die andere wirkte Jürgen Richter wie ausgewechselt. Er schaute den Besucher irritiert an, durchsuchte Papiere auf seinem Schreibtisch und knurrte böse vor sich hin. Er sah auf, blickte Stolzenburg an, als ob er sich erinnern müsste,

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