Weiskerns Nachlass
sechs Jahren reist er auf eigene Kosten zu den entlegendsten Archiven, um Material zu Friedrich Wilhelm Weiskern zu entdecken. Er träumt von einer vollständigen, von einer kritischen Gesamtausgabe aller Werke und Briefe des mittlerweile vergessenen Schriftstellers, der ein Libretto für Mozart schrieb und das Wiener Publikum seinerzeit begeisterte. Als Autor und Schauspieler erfreute er sich der besonderen Gunst der Kaiserin Maria Theresia und Josefs II . Einst geschätzt und verehrt, ist er heute vollständig vergessen.
Die Weiskern-Werkausgabe ist für Stolzenburg ein Luxus, ein unverantwortlicher, denn seine Arbeit wird ihm keiner honorieren wollen und können. Er hat mit neun Verlagen korrespondiert, um sie für seinen Plan zu gewinnen, aber von allen mehr oder weniger höfliche Absagen erhalten. Zumeist schrieb ihm ein Lektor eine nichtssagende Ablehnung, und er hatte den Eindruck, man habe seinen Brief kaum gelesen und die Möglichkeit einer Publikation gar nicht erst geprüft. Ihn amüsierte, dass alle Lektoren den Eindruck zu erwecken suchten, ihnen seien Name und Werk von Weiskern vertraut.
Eine Verlegerin antwortete ihm selbst und schrieb, sie begrüße eine Herausgabe der Werke und Briefe von Friedrich Wilhelm Weiskern und fördere sie nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten auch, sehe sich jedoch außerstande, diese verdienstvolle, lobenswerte Jahrhundertausgabe in ihrem Verlag zu publizieren. Überdies sei ihr kleiner Verlag mit einer Werkausgabe überfordert, ein solches Unternehmen entspreche nicht dem Profil des Verlages.
Ein anderer Verleger, Jürgen Richter aus Frankfurt, lud ihn handschriftlich ein, bei ihm vorbeizuschauen, wenn er in der Nähe sei. Stolzenburg rief umgehend an und ließ sich einen Termin geben, da die prompte Antwort vom Verlagschef persönlich ihm Hoffnung machte. Aber die Reise brachte, wenn er von einer generösen Kaufzusage des Verlegers absah, nichts außer weiteren Kosten und einem dicken Buchpaket mit Neuerscheinungen des Frankfurter Verlages, das der Chef ihm zum Abschluss des Gesprächs schenkte. Bei ihrer Unterredung vermutete Stolzenburg nach den ersten Sätzen, der Verleger habe ihn nur eingeladen, um jenen merkwürdigen Vogel kennenzulernen, der sich in diesen Zeiten für die Werkausgabe eines in Deutschland völlig vergessenen Autors einsetzt und bereit war, jahrelang ohne jedes Honorar zu arbeiten. Und während Stolzenburg enttäuscht und verärgert immer tiefer im Sessel versank, stolzierte der Verleger durch sein beeindruckend großes Arbeitszimmer, in dem neben den Buchregalen mit allen Erstausgaben des Verlages, einem Schreibtisch, dem Chefsessel sowie zwei Besuchersesseln nur noch ein gewaltiger Kamin zu sehen war, und verkündete dozierend sein verlegerisches Credo, das aus der Binsenweisheit bestand, Bücher sollten gut sein, notfalls aber könne man auch erbärmliche Texte verlegen, wenn sie sich verkaufen ließen.
Der Verleger erkundigte sich bei Stolzenburg, wie viele Käufer es für eine Werkausgabe von Weiskern in Deutschland geben könne, und beantwortete seine Frage selbst: »Zweihundertzweiundzwanzig, keiner mehr, keiner weniger. Und von diesen zweihundertzweiundzwanzig werden einhundertfünfundachtzig die Ausgabe in einer Bibliothek lesen. Lesen müssen, weil sie kein Geld haben und auf eine billige Taschenbuchausgabe warten, die kein Verlag der Welt machen wird, weil sie sich nicht kalkulieren lässt. Wir haben also – falls Sie mitgerechnet haben, ich rechne immer, das ist eine Berufskrankheit –, wir haben für den fabelhaften Weiskern siebenunddreißig Interessenten, die fähig und vielleicht bereit sind, viel Geld auszugeben, um Ihre wundervolle kritische Ausgabe zu kaufen. Siebenunddreißig! Wissen Sie, wie sich das für einen Verleger anhört? Sie unterbreiten mir einen obszönen Antrag. Justitiabel ist das, sträflich, kriminell. Ich sollte Sie anzeigen, Herr Stolzenburg.«
Der Verleger lachte dröhnend und hämmerte mit beiden Fäusten begeistert auf den Schreibtisch. Stolzenburg schob sich langsam aus dem Sessel hoch und ließ dabei keinen Moment den Verleger aus den Augen. Der Mann widerte ihn an. Er war einige Jahre älter als er selbst, vielleicht zehn Jahre, er verdiente vermutlich ein Vermögen, die Wagen hinter den Rabatten rechts vom Haus, die ihm bei der Ankunft aufgefallen waren und sicherlich Richter gehörten, wundervolle englische Fabrikate, edel und elegant, diese drei blitzenden Autos kosten zusammen so viel, wie er in
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