Weiskerns Nachlass
seinem ganzen Arbeitsleben verdienen könnte, und gewiss kam noch eine Villa dazu und ein Haus da und zwei Häuser dort, doch die ganze »Lebensphilosophie« dieses Kerls, sein verlegerisches Berufsethos kann man in einen Satz fassen: Wenn ein Buch sich gut verkaufen lässt, ist es gute Literatur, wenn ein Buch sich sehr gut verkaufen lässt, ist es sehr gute Literatur. Mit ihm wollte er nicht tauschen, nicht für einen Moment, nicht für alle Schätze der Welt, ein solches Leben war für ihn zutiefst verächtlich. Er war mit Hoffnungen, mit dummen Hoffnungen nach Frankfurt gereist, nun würde er belehrt zurückfahren, mit einem solchen Verleger wollte er nichts zu tun haben, dafür war ihm seine Zeit zu kostbar, seine Zeit, die er lieber vollständig einem Friedrich Wilhelm Weiskern opferte, als nur weitere fünf Minuten an diesen ekelerregenden Fettkloß zu verschwenden, für den Kultur und Bücher bloßes Mittel sind, um Geld zu machen und sich wahnsinnsteure Autos zuzulegen.
»Bleiben Sie sitzen, Herr Stolzenburg, wir sind noch nicht miteinander fertig«, sagte damals der dicke Mann und war plötzlich ruhig und bedachtsam. Fast feierlich wirkte er, als er eine Schreibtischschublade öffnete und ein Buch herausholte.
»Ich will Ihnen etwas zeigen. Etwas, was ich extra für Ihren Besuch aus meinem Allerheiligsten geholt habe.«
Er hielt das Buch hoch, eine Antiquität in Glanzleder mit goldgeprägtem Rückentitel, die Ecken und Kanten wiesen Gebrauchsspuren auf.
»Wissen Sie, was das ist? Sie werden es kaum glauben. Das ist die Beschreibung der kaiserlich-königlichen Haupt- und Residenzstadt Wien.«
Er schlug das Buch auf, setzte seine Brille zurecht und las laut: »›Als der dritte Theil zur österreichischen Topographie. Beigebunden: Anhang zum ersten Theil. Beschreibung der Häuser in der Stadt Wien von 1766. Verlag Joseph Kurzböcken, 1770.‹ Den Autor, Herr Stolzenburg, muss ich Ihnen wohl nicht nennen, nicht wahr?«
Vorsichtig klappte er das Buch zu, legte es auf den Schreibtisch und schob es mit einer geradezu zärtlichen und anrührenden Geste zu Stolzenburg.
»Nun? Habe ich Sie überrascht? Das ist ein echter Friedrich Wilhelm Weiskern, eine Originalausgabe, von seiner Witwe ediert, aber das wissen Sie ja.«
Stolzenburg ergriff behutsam mit beiden Händen das Buch, öffnete es und blätterte vorsichtig die stockfleckigen Seiten um.
»Ja, Herr Richter, damit haben Sie mich tatsächlich überrascht. Darf ich fragen, wie Sie an diese Ausgabe gekommen sind? Und vor allem, warum? Wieso interessieren Sie sich für Weiskern?«
»Wie ich an diese Ausgabe gekommen bin? Nun, das ist mehr als dreißig Jahre her. Und ich habe ein Vermögen dafür bezahlt, jedenfalls war es damals für mich ein Vermögen. Schlagen Sie einmal die letzte Seite auf, da müsste noch der Preis des Antiquars stehen.«
»Vierhundertfünfzig«, las Stolzenburg vor.
Der Verleger lachte auf. »Ja, ich erinnere mich. In Wahrheit stand natürlich noch eine Zahl davor, eine Eins. Die habe ich wegradiert, nachdem ich das Buch erstanden hatte. Meine erste Frau, das heißt, damals waren wir noch nicht verheiratet, hätte mich entmündigen lassen, wenn ich mit einem Buch für eineinhalbtausend Mark zu Hause erschienen wäre. Wir studierten in Berlin, wir hatten kein Geld, ein solcher Kauf war heller Wahnsinn. Diese Eineinhalbtausend habe ich beim Antiquar abstottern müssen, jeden Monat war für mich am Fünfzehnten Zahltag. Ich musste mich krummlegen, ein halbes Jahr lang. Für das Buch habe ich den Tennisjungen bei Peikos gespielt. Wissen Sie, wer Peikos war? Ein griechischer Zigarettenfabrikant. P4, falls Ihnen das was sagt, das war so eine Billigsorte für Rentner und Schulkinder, eine winzige Packung, in der nur drei oder vier Zigaretten steckten. Peikos hatte damals schon einen Tennisplatz hinter seiner Villa. Mitte der fünfziger Jahre war das noch etwas Besonderes, hatte nicht jeder, auch nicht im Grunewald. Ein eigener Tennisplatz, das war etwas, worüber man sprach.«
»Was ist für Sie so spannend an einer Beschreibung des alten Wien?«
»Na, lieber hätte ich natürlich Weiskerns Topographie von Niederösterreich, das ist schließlich sein Hauptwerk. Aber das war für mich damals unbezahlbar.«
»Aber wieso Weiskern? Was haben Sie mit ihm zu schaffen?«
»Wie lange arbeiten Sie schon an der Weiskern-Ausgabe, Herr Stolzenburg?«
»Fünf Jahre, fünfeinhalb.«
»Dann müssten Sie eigentlich wissen, wieso ich Weiskern
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