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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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nicht nur lesen kann, sondern sich in den Paragrafen bestens auskennt, dem die zulässigen Schleichwege vertraut sind, die ein paar Abkürzungen gestatten. Und er hofft, dass dieser fabelhafte Herr Gaede ihm dabei behilflich ist, die Nachzahlung abzuwenden, denn das geforderte Geld besitzt er nicht.
    Die angegebene Adresse ist ein altes Fabrikgebäude, das man zu Wohnungen mit Lofts umbaute. Als er die Klingel drückt, meldet sich Gaede und bittet ihn, in das oberste Stockwerk zu kommen, er möge den Fahrstuhl nehmen. Als sich der Fahrstuhl oben öffnet, steht Stolzenburg direkt in der Wohnung, in einem großen hohen Vorraum mit einer grünen Palme, die bis zu der Glaskuppel reicht. Gaede begrüßt ihn lächelnd, öffnet eine der Zimmertüren und bittet ihn herein.
    »Eine beeindruckende Wohnung«, sagt Stolzenburg.
    »Ja, ganz hübsch. Etwas zu groß für mich.«
    Gaede ist sehr jung, kaum älter als seine Studenten. Er hatte, wie er bereitwillig mitteilt, zwei Jahre Betriebswirtschaft und Steuerrecht studiert, dann das Studium ohne Abschluss abgebrochen, da er es für Zeitvergeudung hielt, sich die Funktionsgesetze der Wirtschaft und das Auf und Ab der Finanzmärkte von Leuten erklären zu lassen, die nie die Praxis kennengelernt und niemals Geld in die Hand genommen hatten, um damit zu spekulieren, also mit vollem Risiko, wie Gaede sagte, totaler Gewinn oder totaler Verlust.
    »Mit Leuten, die ein sicheres Monatsgehalt beziehen, würde ich jederzeit eine Bergwanderung machen oder Schach spielen. Nur segeln, segeln würde ich mit ihnen nie, falls Sie verstehen, was ich meine. Segeln Sie?«
    Stolzenburg schüttelt den Kopf.
    »Beim Hochseesegeln kann man im Sturm kentern, das gehört dazu, das macht den Spaß aus. Man kann sogar ertrinken, wenn es der Wind und der Herrgott so wollen. Gehört alles zum Spiel. Man kann verlieren, selbst sein Leben, aber wenn man allem trotzt, ist es einfach riesig. Das ist das Leben.«
    Er erzählt, er habe nach dem abgebrochenen Studium ein Jahr in einer Immobilienfirma in Frankfurt und London gearbeitet und sich, als er alle Tricks kannte, wie er meint, selbständig gemacht.
    »Und seitdem sind Sie Steuerberater?«
    »Nun, manchmal, aber eher selten. Sagen wir so: Ich verdiene mein Geld mit Finanztransaktionen. Immobilien, Wertpapiere, Fonds, Rohstoffe, die ganze Palette. Und da ist es hilfreich, das Steuersystem von ein paar Ländern genauer zu kennen. Das hilft enorm. Selbst die kleinsten Unterschiede zwischen den nationalen Gesetzen können ein Vermögen einbringen. Und alles vollkommen legal.«
    »Davon verstehe ich nichts. Damit habe ich mich nie beschäftigt.«
    »Davon lebe ich. Die meisten verdienen zwar viel Geld, wissen aber nicht, wie sie damit umgehen sollen, und verlieren es schließlich wieder. Es sei denn, sie treffen auf einen Menschen wie mich.«
    »Und wie machen Sie das?«
    »Man muss früh aufstehen. Der frühe Vogel fängt den Wurm, das ist das ganze Geheimnis. Und ich meine, wirklich früh. Um halb drei, da klingelt jeden Morgen meine innere Uhr, und ich stehe auf, selbst im Urlaub. Dann schau ich mir an, was die Börsen in Südostasien so treiben, gebe ein paar Orders ein und lege mich nach einer Stunde wieder hin. Damit habe ich mehr als den halben Arbeitstag bereits hinter mir. Gegen zehn Uhr schaue ich mir den deutschen Markt an, und am Nachmittag die Amerikaner, aber das ist nur noch ein Checken, da passiert selten etwas elementar Neues. Das Wichtige läuft frühmorgens ab, mein Geld mache ich in Ostasien.«
    »Jeden Tag um halb drei, um zwei Uhr dreißig?«
    »Nein, nicht jeden Tag. An drei Tagen im Jahr bleibe ich im Bett. Es gibt drei wirklich internationale Feiertage, an denen die Börsen von Tokio bis Francisco geschlossen bleiben. Aber an allen anderen Tagen muss man früh auf der Matte stehen. Ein versäumter Tag, ein einziger, kann mich ein Vermögen kosten, unter Umständen alles. Inzwischen ist mir das frühe Aufstehen in Fleisch und Blut übergegangen, wie bei einem Bäcker, und die Frauen gewöhnen sich auch daran.«
    »Ich vermute, Sie verdienen jede Menge.«
    »Ausreichend, ja. Durchaus.«
    »Und wie komme ich zu der Ehre, dass Sie sich mit meinem kleinen Problem befassen? Für Sie wahrscheinlich eine Lächerlichkeit. Und ich kann Sie nicht bezahlen.«
    »Über meine Honorierung sollten Sie sich keine Gedanken machen. Und warum ich es tue? Ganz einfach, Marion hat mich darum gebeten. Ihr zuliebe. Marion ist eine tolle Person. Ohne sie hätte

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