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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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sie sich nie gesehen hätten.
    »Kann er ein Foto von Ihnen kennen? Hat Ihr Institut eine Seite im Netz, in dem die Mitarbeiter mit Text und Foto vorgestellt werden?«
    »Es gibt eine solche Seite, natürlich, da kommt heutzutage keiner dran vorbei. Aber über mich stehen da nur zwei Zeilen, und ich habe nicht zugelassen, dass dort ein Foto von mir erscheint.«
    »Gibt es irgendwo anders ein Foto von Ihnen, das Aberte sich verschafft haben könnte?«
    Stolzenburg schüttelt den Kopf: »Nein, ich wüsste nicht, wie und wo. Herr Kommissar, ich habe an der Uni eine halbe Stelle. Eine feste halbe Stelle. Da benötigt keiner ein Foto von mir.«
    »Gut, wenn Sie sich nie gesehen und gesprochen haben, er Sie also nicht kennt, dann können wir den Kontakt mit Aberte ohne Sie aufnehmen. Wir bitten Sie allerdings, uns am Tag der geplanten Übergabe Ihr Handy zu überlassen. Er hat Ihre Nummer, er wird Sie anrufen, und dann könnten wir mit ihm sprechen und uns unter Ihrem Namen mit ihm verabreden. Ist das möglich?«
    »Ich habe einmal mit ihm gesprochen.«
    »Mit Aberte?«
    »Ja. Er rief mich heute Morgen an.«
    »Und was wollte er?«
    »Nichts, eigentlich nichts. Wir haben nur miteinander geplaudert. Er erkundigte sich nach meiner Weiskern-Forschung und stellte dazu einige Fragen.«
    »Sie haben länger mit ihm gesprochen?«
    »Er war an dem Weiskern sehr interessiert, fragte nach allem Möglichen. Ich hatte den Eindruck, er wollte wissen, wer dieser Mann war, dessen Briefe er besitzt. Oder angeblich besitzt.«
    »Ich verstehe. Jetzt hat er Ihre Stimme. Falls er ein Profi ist, arbeitet er mit einem Spracherkennungsprogramm, und wenn Sie länger mit ihm gesprochen haben, wird es unmöglich sein, ihn zu täuschen. Also muss ich Sie doch um Ihre Mitarbeit bitten.«
    »Ausgeschlossen. Ich spiele keinen Detektiv oder Polizisten.«
    »Keine Sorge. Ich bitte Sie lediglich, den Anruf von Aberte entgegenzunehmen und sich mit ihm zu verabreden. Vermutlich wird er einen öffentlichen Raum für die Übergabe vorschlagen, ein Café oder einen Warteraum, oder er kommt direkt hierher, in Ihre Wohnung. Sie informieren uns umgehend, alles Weitere können Sie uns überlassen. Bitte, Herr Stolzenburg. Es müsste ja auch in Ihrem Interesse liegen, dass wir über diesen Mann Klarheit gewinnen.«
    »Wieso? Welches Interesse sollte ich an diesem Mann haben?«
    »Möglicherweise wollte er oder vielmehr will er Sie betrügen. Und für das Auktionshaus in Wien, dieses Dorotheum, ist nicht unmittelbar ersichtlich, wer hinterder Fälschung dieses Gutachtens steht. Für das Auktionshaus gehören Sie zu den Verdächtigen.«
    »Na, wunderbar. Und was wollte ich mit der Fälschung anfangen? Und wieso habe ich dann die Leute in Wien darüber informiert?«
    »Regen Sie sich nicht auf. Ich sehe gleichfalls keinerlei Verdachtsmomente gegen Sie. Aber wenn wir die Sache aufklären, wenn wir Aberte bekommen, wäre es für alle besser.«
    »Mit anderen Worten, Sie nötigen mich mitzuspielen.«
    »Wir bitten Sie, das ist alles. Da Sie mit ihm telefoniert haben, können wir das Risiko nicht eingehen, dass einer unserer Beamten das nächste Gespräch mit ihm führt. Er würde sofort Verdacht schöpfen und wäre dann unauffindbar. Sein Handy zu orten, wird ganz unmöglich sein. Bei dem nächsten Anruf wird er sich kurz fassen, sehr kurz.«
    Stolzenburg steht auf und läuft im Zimmer auf und ab, es fällt ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Dass das Dorotheum ihn beschuldigt, macht ihn fassungslos, und wenn er sich jetzt weigert, macht er sich auch bei der deutschen Kriminalpolizei verdächtig.
    »Darf ich fragen, was das bedeutet, dass dieser Fall Priorität hat?«, fragt er gereizt.
    »Das Dorotheum ist ein bedeutendes Unternehmen für Österreich, da zeigt man sich in Wien entgegenkommend. Wirtschaftsdelikte sind für jeden Staat gewichtig, und man bat uns um umfassende und rasche Hilfe, die wir gern leisten.«
    »Und man hat wegen dieser Priorität keine Hemmungen, mich zu beschuldigen.«
    »Nochmals, Herr Stolzenburg, wir verdächtigen Sie nicht, und Sie müssen sich nicht aufregen. Wir bitten um Ihre Mithilfe, das ist alles.«
    »Ich fühle mich genötigt, Herr …«
    »Hittich. Ich heiße Hittich.«
    »Also gut, Herr Hittich, ich warte darauf, dass sich Aberte bei mir meldet, und gebe Ihnen dann umgehend Bescheid, wo wir uns verabreden.«
    »Danke. Vermutlich wird er Ihnen ein sehr kurzfristiges Treffen vorschlagen. Versuchen Sie etwas Zeit zu gewinnen

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