Weiskerns Nachlass
zwischen der Kontaktaufnahme und der Verabredung, ein paar Stunden wenigstens, damit wir uns vorbereiten können. Ich gebe Ihnen meine Karte, rufen Sie mich über die zweite Handynummer an, da bin ich immer erreichbar.«
Der Hauptkommissar bedankt sich beim Hinausgehen zweimal bei Stolzenburg, der kein Wort erwidert und ihn schweigend verabschiedet.
Kurz nach sechs ruft Henriette an. Sie entschuldigt sich, dass sie am Morgen nicht mit ihm reden konnte, aber sie habe im Rathaus kein eigenes Zimmer, und während ihrer Arbeitszeit könne sie keine privaten Gespräche führen. Daraufhin entschuldigt er sich für den unüberlegten Anruf und fragt, ob sie sich heute noch sehen können. Da sie mit der Antwort zögert, erkundigt er sich erneut, ob sie bereits Karten für den »Holländer« bestellt habe, er möchte unbedingt mit ihr in die Oper gehen.
»Ich weiß nicht, Rüdiger«, sagt sie, »du solltest erst ein paar Dinge regeln, bevor ich mich wieder mit dir treffe. Ich denke, das wäre für uns beide besser. Ich bin da empfindlich, ich habe zu viel hinter mir. Diese andere Geschichte, diese andere Frau, ich will das nicht mehr.«
»Das ist so gut wie erledigt, Henriette. Es gibt keine anderen Frauen mehr.«
»So-gut-wie – die Formulierung kenne ich. Die habe ich schon ein paarmal gehört, und ich weiß, was sie bedeutet. Nein, so-gut-wie, das ist mir zu wenig. Entweder-oder. Komm mit dir selbst klar, mach reinen Tisch, entscheide dich. Und dann kannst du dich melden.«
»Einverstanden. Dann melde ich mich in einer Stunde bei dir.«
Er sagt es lachend, aber sie geht darauf nicht ein: »Nein, erledige das anständig. Ich möchte keine unklaren Geschichten. Das habe ich dreimal erlebt. Die Kerle kamen immer wieder mit irgendwelchen Erklärungen und Ausflüchten. Davon habe ich die Nase voll. So wichtig sind Männer nicht, nicht für mich, nicht mehr. Ich werde mich freuen, wenn du dich meldest, aber wenn du alles in der Schwebe halten willst, dann brauchst du dich bei mir nicht mehr zu melden.«
Sie legt den Hörer auf, bevor er etwas entgegnen kann. Nach diesem Gespräch ruft er Patrizia im Geschäft an, doch nach dem ersten Klingelzeichen legt er auf. Er weiß nicht, wie er ihr beibringen soll, dass er sich von ihr trennt. Er setzt sich an den Schreibtisch und versucht zu arbeiten, denkt aber immerzu an Henriette. Er wird drei, vier Tage warten müssen, bevor er den nächsten Versuch wagen kann, sich mit ihr zu verabreden. Er muss zuvor zu Patrizia fahren, um sich endgültig von ihr zu trennen, und das wird sicherlich eine unangenehme und lautstarke Begegnung, sie wird hysterisch reagieren. Er überlegt, wo er es ihr sagen soll, bei einem Spaziergang, in einer Gaststätte, bei ihr oder ihm. Und zu allem Überfluss droht ihm noch ein Telefonat mit Aberte.
Dreizehn
Am nächsten Tag ist er von früh bis zum späten Abend im Institut, er hat ein Seminar und zwei Sitzungen, in den Stunden zwischen den Veranstaltungen sieht er das Modulhandbuch durch und kennzeichnet alle neu abzufassenden Informationen.
Zur Sitzung am Vormittag war ein Gast von der Informatik eingeladen, der alle Dozenten und Assistenten über die bevorstehende Einführung der elektronischen Prüfungsverwaltung und die sich damit ergebenden Veränderungen unterrichtet. Stolzenburg beobachtet die Kollegen, die jüngeren hören gespannt den Ausführungen des Informatikers zu und machen sich ein paar Notizen, die älteren haben erkennbar Schwierigkeiten, den Ausführungen zu folgen, und schreiben hektisch mit.
Nach dem Mittagessen hat er ein Seminar mit dem dritten Semester. Zu dieser Gruppe gehört Annika Wöble, die ihn zwei Stunden lang fortgesetzt anlächelt und die er nicht ein einziges Mal aufruft. Als sie in der Unterrichtspause zu ihm kommt, funkelt er sie unwirsch und so streng an, dass sie erschrocken zurückweicht und in den Flur geht.
Bei der zweiten Sitzung am späten Nachmittag sind sie nur zu dritt, sie haben die Konferenz zur Sprachkritik in Wrocław vorzubereiten, die Themen detailliert auszuarbeiten und die Redner und Arbeitsgruppenleiter zu bestimmen.
Erschöpft kommt er um neun nach Hause und ist unfähig, sich noch ein Abendbrot zu machen. Er gießt ein Glas Wein ein und hört die Telefonanrufe ab. Zwei Anrufe sind von Patrizia, er möge zurückrufen. Mit dem Glas in der Hand setzt er sich vor den Fernseher, er schaltet die Sender durch, um eine Nachrichtensendung zu finden, und schaut sich, bevor er todmüde ins Bett fällt,
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