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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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schließlich teilnahmslos einen kritischen Bericht über die Gehälter und Prämien der Vorstandsmitglieder jener Bank an, die sein kärgliches Konto führt.
    Am nächsten Morgen, er sitzt noch beim Frühstück, ruft Patrizia an und überschüttet ihn mit Vorwürfen, auf die er mit keinem Wort eingeht.
    »Wann sehen wir uns?«, fragt sie schließlich.
    »Heute Abend«, sagt er, »ich hole dich ab.«
    »Oh, du holst mich sogar ab. Hast wohl ein schlechtes Gewissen? Also dann, bis heute Abend, zwischen halb sieben und sieben.«
    Er hat kaum den Telefonhörer aufgelegt, als sein Handy klingelt. Er nimmt es in die Hand und fragt gereizt, was es denn noch gäbe, denn er ist sicher, dass es wieder Patrizia ist.
    »Hier ist Aberte. Herr Stolzenburg?«
    Stolzenburg ist überrascht. Er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr, um das Datum zu sehen.
    »Tut mir leid, dass ich Sie stören muss. Aber meine Planungen haben sich verändert, ich musste eine Besprechung vorziehen und bin deshalb heute schon in Leipzig. Morgen muss ich wieder weiterreisen. Momentan habe ich etwas Zeit. Wenn wir uns in einer halben Stunde in der Stadt treffen könnten, übergebe ich Ihnen die Weiskern-Briefe.«
    Er erinnert sich an den Rat des Kommissars und sagt Aberte, das ginge bei ihm nicht, er sei auf dem Weg zur Uni, in zwanzig Minuten beginnt ein Seminar, das er leitet, und er habe erst ab zwölf Zeit, besser sei zwölf Uhr dreißig, falls einer seiner Studenten mit einem Problem zu ihm komme, überdies habe er das Geld im Institut abzuholen, da ja für den Ankauf eine Barzahlung vereinbart sei.
    Aberte zögert, schließlich bittet er ihn um eins ins Radisson-Hotel am Augustusplatz, das käme ihm entgegen, da dort seine Verhandlungen stattfänden und er für eine halbe Stunde ins Hotelfoyer kommen könnte.
    »Sie werden mich leicht erkennen«, sagt er, »weil ich das Päckchen mit den Manuskripten in der Hand halte. Und wie erkenne ich Sie? Sind Sie groß oder klein? Welche Haarfarbe haben Sie?«
    »Ich werde ein Buch in der Hand halten. Im Foyer des Radisson hält gewöhnlich niemand ein Buch in der Hand.«
    Aberte lacht und wiederholt noch einmal: »Ein Uhr im Foyer des Radisson. Bis nachher, Herr Stolzenburg. Um eins haben Sie Ihren Weiskern. Und vergessen Sie mein Geld nicht.«
    Stolzenburg sucht auf dem Schreibtisch die Visitenkarte des Kommissars. Er wählt dessen Nummer, dann legt er das Handy beiseite und greift nach dem Hörer seines Telefons. Hittich meldet sich sofort, Stolzenburg erzählt ihm von dem Gespräch und vorgezogenen Treffen und wird von dem Kommissar gelobt, weil er es um Stunden hinauszögerte.
    »Ich bin in einer Stunde bei Ihnen, Herr Stolzenburg.«
    »Das ist nicht nötig. Sie müssen nur um eins ins Radisson gehen und können ihn dort festnehmen.«
    »Nun, so einfach wird es uns der Herr nicht machen. Dass er den Termin so kurzfristig vorverlegte, überrascht mich nicht. Das bedeutet allerdings auch, der Mann ist kein Anfänger, er sichert sich ab, und ich bin überzeugt, er wird das weiterhin versuchen. Ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen und erkläre es.«
    Bevor Stolzenburg protestieren kann, hat Hittich aufgelegt. Zwanzig Minuten später klingelt er an der Tür und erläutert Stolzenburg seinen Plan, ohne sich um dessen Einwände zu kümmern. Er vermute, sagt der Kommissar, Aberte werde im Radisson sein, aber sich nicht zeigen, sondern ihn nochmals anrufen und einen neuen Treffpunkt nennen. Dann könne er beobachten, wer bei seinem Anruf nach dem Handy greift und ob der Angerufene allein zu dem nächsten Treffpunkt geht. Daher solle Stolzenburg sich um zwölf oder spätestens halb eins in das Hotelfoyer setzen, allerdings ohne ein Buch, denn mit diesem Erkennungszeichen werde er, der Kommissar, um ein Uhr das Foyer betreten. Das Handy habe er auszuschalten und es erst, wenn Hittich im Foyer auftauche, wieder zu aktivieren. Wenn Aberte anruft, möge er das Telefonat so unauffällig wie möglich führen, er selbst, Hittich, werde bei einem Anruf im gleichen Moment nach seinem Handy greifen und so tun, als wäre er es, der mit ihm spricht. Über ein Mikro würde er hören, was Aberte sagt, und nach dem Gespräch aufstehen und zu dem neuen Treffpunkt gehen, Stolzenburg solle nach Möglichkeit noch eine Viertelstunde im Foyer bleiben. Falls aber Aberte doch im Foyer erscheint, brauche sich Stolzenburg um nichtsweiter zu kümmern und könne, wenn Aberte sich an den Tisch des Kommissars gesetzt hat, sofort das Hotel

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