Weiskerns Nachlass
ständig – er sagt, zehnmal im Jahr – mit Fälschungen und Betrugsversuchen zu tun habe, die eigenen Bestände jedoch genauesten geprüft und begutachtet wurden und zweifelsfrei authentisch seien. In der Sammlung befänden sich zwei Briefe von Weiskern, in denen er dem Wiener Hof einen Theaterumbau sowie die Ausrichtung eines Sommerfestes vorschlägt. Des Weiteren sei ein handschriftliches Faszikel in ihrem Besitz, eine Vorarbeit zur Topographie von Niederösterreich. Publiziert, sagt er auf Stolzenburgs Nachfrage, sei nichts davon, weder die Briefe noch das topographische Fragment. Nahezu nichts aus der Hollertschen Sammlung sei bislang öffentlich bekannt, sie sei auch noch nicht zugänglich, was erst die Aufgabe der in Gründung befindlichen Stiftung sein könne.
»Zufrieden?«, erkundigt sich der Onkel, nachdem Stolzenburg sich bei dem Archivar für die Auskunft bedankt und das Handy zurückgegeben hat.
»Ich bin beeindruckt, Herr Hollert. Sie besitzen offenbar einen gewaltigen Schatz.«
Der Onkel nickt knapp und steckt sein Handy weg. Dann lächelt er, als habe das Lob ihn verspätet erreicht.
»Ja«, sagt er, »ja, ein Schatz ist es wohl. Obwohl das einige anders sehen.«
Er lächelt noch immer, aber eine leichte Verbitterung ist ihm anzusehen, als er eine wegwerfende Handbewegung macht, die alles Mögliche bedeuten oder umfassen konnte.
»Und Sie, Sie forschen zu diesem …«
»Weiskern. Friedrich Wilhelm Weiskern.«
»Jaja, den meine ich. Und Sie kennen alles von ihm, über ihn?«
»Nur was veröffentlicht wurde, was in den Bibliotheken zu finden ist. Seine Manuskripte und Briefe, die Sie besitzen, natürlich nicht. Ich muss warten, bis die Stiftung, von der Herr Sperber erzählte, sie für die Allgemeinheit freigibt. Wann darf ich damit rechnen?«
Der Onkel schaut ihn an und schweigt. Er denkt nach, spürt Stolzenburg, und bemüht sich, dem Blick nicht auszuweichen, standhaft zu bleiben.
»Vielleicht«, sagt der Onkel langsam und gedehnt, »vielleicht …«
Er unterbricht sich und holt eine kleine Karte aus der Billettasche hervor, eine Visitenkarte.
»Melden Sie sich doch einmal bei dem Sperber, Herr …«
»Stolzenburg. Rüdiger Stolzenburg«
»Ja, Herr Stolzenburg, wenn Sie mehr über meine Sammlung wissen wollen, sollten Sie sich mit meinem tüchtigen Sperber verabreden. Er soll Sie mal durchs Haus führen, damit Sie einen Eindruck bekommen.Und wer weiß, vielleicht zeigt er Ihnen auch Originale von dem Kerl, dem Sie auf der Spur sind.«
»Wäre das möglich?«
»Freilich, wieso nicht? Ich werde mit Sperber reden, vielleicht geben wir Ihnen sogar Kopien von Ihrem Kerl. Das wäre dann zwar eine außerordentliche Ausnahme, habe ich nie gemacht, aber wenn Ihnen so viel daran liegt. Ich überlege es mir, Herr …«
»Stolzenburg.«
»Ja, Stolzenburg, natürlich. Stolzenberg, Stolzenburg, sollte nicht so schwer zu merken sein. Also, abgemacht, Sie melden sich bei meinem Sperber. Meine Karte brauchen Sie nicht, Sebastian kann das Treffen vermitteln.«
Er nickt ihm zu, steckt die Visitenkarte in die Billettasche zurück und hebt zum Abschied die Hand, dann dreht er sich um und geht ins Balkonzimmer. Noch bevor Stolzenburg die Wohnungstür erreicht hat, steht Sebastian Hollert neben ihm, er hat sie die ganze Zeit über im Blick gehabt.
»Ich habe mit Vater gesprochen. Herr Herbert, sein Fahrer, wird Sie nach Hause bringen.«
Stolzenburg bemerkt das verstohlene, stolze Lächeln des jungen Manns, was dieser mit scheinbarer Ehrerbietung zu verbergen sucht.
»Danke«, entgegnet er knapp, »das ist nicht nötig.«
»Herbert wartet vor der Tür. Ich bringe Sie zum Auto.«
Auf der Treppe bedankt sich der junge Hollert nochmals für sein Kommen.
»Ich glaube, Sie haben meine alten Herren beeindruckt, Herr Doktor Stolzenburg.«
Stolzenburg reagiert nicht. Er knöpft im Heruntersteigen den Mantel zu und ist scheinbar vollkommen darauf konzentriert. Auf der Straße streckt ihm der junge Hollert die Hand entgegen und sagt leise: »Danke. Ich denke, wir sind im Geschäft.«
»Vorsicht, Hollert, passen Sie auf! Werden Sie nicht noch unverschämt. Ich vermute, Sie begreifen nicht, welche Dreistigkeit Sie sich mir gegenüber gerade herausgenommen haben.« Stolzenburg spricht mit gedämpfter Stimme, da der Fahrer ausgestiegen ist, um ihm die hintere Autotür zu öffnen: »Vielleicht haben Sie Glück, großes Glück, und ich vergesse Ihren Auftritt.«
Hollerts Hand übersieht er und steigt
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