Weiskerns Nachlass
voller Verachtung durchbohren. Er spürt, wie ihn diese Augen verschlingen, fühlt sich wehrlos, entblößt, ausgeliefert. Einen Moment lang erwägt er, Antworten auf weitere Fragen zurückzuweisen. Es sei unüblich, könnte er sagen, seine Studenten seien keine minderjährigen Kinder, deren Erziehungsberechtigte jederzeit jede Auskunft verlangen dürften, es gebe einen Vertrauensschutz, den zu brechen das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler stören und zerstören könne. Doch im Bann dieser starren, mausgrauen Augen sagt er, was der Onkel hören will, erzählt, er sei anfangs unzufrieden mit Sebastian Hollert gewesen, enttäuschtvon dessen Leistungen und dem unzureichenden Engagement, aber Sebastian sei es gelungen, ihn zu beeindrucken, mehr noch, er habe noch nie einen Studenten gehabt, in dem er sich derart getäuscht und der ihn dann über alle Maßen zu verblüffen vermocht habe. Es ist nicht die ganze Wahrheit, die er sagt, es ist ein sehr ausgesuchter Teil, sein Urteil entspricht dem, worum ihn der junge Hollert gebeten hat und was seine beiden alten Herren zu hören gehofft haben, und Stolzenburg weiß, dass er es nicht so formuliert, weil er dem Studenten den gewünschten Gefallen erweisen oder er das versprochene Geld haben will, er sagt es, weil ihn diese kalten Augen einschüchtern, diese Augen, die ihn anstarren, als sei er ein lästiges Insekt, und in deren Bann er gelähmt ist, unfähig, sich zu rühren. Anscheinend hat er die richtigen Worte gefunden, die Augen des Onkels öffnen sich eine Winzigkeit weiter, blicken freundlicher oder zufriedener, aber noch immer lauern sie, warten auf die richtige, auf eine gebührende Antwort. Stolzenburg redet weiter, er spürt, dass es für ihn nicht allein um den Neffen dieses merkwürdigen Onkels geht, vielmehr darum, den Onkel zu überzeugen, ihn für sich einzunehmen, er selbst will von ihm akzeptiert werden und ihm genügen. Irgendwann, mit irgendeinem Satz scheint ihm das gelungen zu sein. Es gibt ein fast unmerkliches Kopfnicken, der Onkel wendet sich seinem Zwillingsbruder zu, beide lächeln, dann ist das Verhör beendet. Der Onkel fragt ihn nun nach der eigenen Forschung, wobei seine Augen gleichgültig und fast wohlwollend wirken. Er hört ihm für Sekunden zu, nickt und wendet sich gleichzeitig mit seinem Bruder von ihm ab, um zu den anderen Gästen zu gehen. Stolzenburg tritt ihmmit einem raschen Schritt in den Weg und erkundigt sich nach seiner Autographensammlung. Er erzählt von seinen Nachforschungen zu Weiskern, erklärt ihm eilig, wer dieser Mann sei, und fragt, ob er Manuskripte von ihm besitze.
»Wenn der Mann wichtig war, ganz gewiss. Ich besitze die fünftgrößte Privatsammlung von Autographen in Europa. Gehen Sie davon aus, dass ich Originale von ihm besitze.«
Für den Onkel ist das Gespräch damit beendet, doch Stolzenburg erläutert rasch sein Nachfragen, berichtet, dass ihm Fälschungen von Briefen angeboten worden sind, mit denen man fast auch ein Wiener Auktionshaus reingelegt hat.
Der Onkel nickt abwesend.
»Fälschungen«, sagt er mit müder Stimme, »nun ja, damit haben wir jeden Monat zu tun. Was den Leuten nicht alles einfällt, um an Geld heranzukommen.«
Er sieht Stolzenburg an, der ihn anstarrt.
»Und jetzt wollen Sie wissen, was ich von dem Kerl besitze und ob es echt ist? Gehen Sie davon aus. Ich kaufe keine Fälschungen.«
»Sie waren handwerklich perfekt.«
»Na schön«, sagt der Onkel lächelnd. Er wirft einen Blick auf die Armbanduhr, es ist kurz vor elf, zieht sein Handy hervor und tippt auf zwei Tasten.
»Sperber, Sperberchen, es ist spät, aber ich brauche eine Auskunft«, sagt er grußlos, »besitzen wir …«
Er wendet sich zu Stolzenburg um, schaut ihn auffordernd an, der versteht und souffliert sofort den Namen: »Friedrich Wilhelm Weiskern.«
»Warten Sie«, sagt der Onkel, reicht das Handy Stolzenburg weiter, der auch diese wortlose Aufforderung versteht und Herrn Sperber den Namen und das Geburtsdatum von Weiskern nennt und danach das Handy zurückgibt.
»Haben wir den? – Ja, und was? – Briefe? Was für Briefe? Ach was, Sperber, sprechen Sie mit ihm selbst.«
Er gibt sein Handy wieder Stolzenburg, damit er selbst mit Sperber, offenbar dem Archivar seiner Autographensammlung, sprechen kann. Stolzenburg lässt sich berichten, was die Hollertsche Sammlung von Weiskern besitzt, erzählt dann von Abertes Versuch, ihm gefälschte Briefe zu verkaufen, und erfährt, dass sein Gesprächspartner
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