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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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besonders hohe Auszeichnung darstelle, zumaler dort der jüngste aller Professoren sei. Seine Freundin trifft er dreimal im Jahr, sie werden Mitte des nächsten Jahres heiraten, aber es sei noch vollkommen ungewiss, wo und wie sie zusammenleben werden. Einer der jungen Männer ist vor drei Monaten von Neuseeland nach Tokio übersiedelt und klagt, er könne nun nicht mehr surfen und diese Stadt sei unglaublich teuer. Jede Dienstreise, gleichgültig ob nach Zürich oder New York, nutze er für Shopping und um sich einzukleiden. Zwei aus dem Kreis pflichten ihm bei und loben den Lebensstil im alten Europa, wenngleich die Arbeitsbedingungen, einer lehrt in Singapur, der andere betreut eine Niederlassung des Stuttgarter Stammbetriebs in Rio de Janeiro, überall in der Welt besser und anregender seien als hierzulande. Von Stolzenberg verfolgt mit leuchtenden Augen die Gespräche, er ist unübersehbar stolz auf seine Kinder und ihre Freunde, auf ihre Erfolge und auf ihren Ehrgeiz. Dann fragen sie Sebastian Hollert aus, und er erzählt von den zwei Fächern, die er gleichzeitig studiert. Alle kennen offenbar Onkel Friedl, wissen um die Bedingungen, die er seinem Neffen stellte, und machen sich über ihn lustig, aber es sind freundliche, fast familiäre Bemerkungen. Stolzenburg hat den Eindruck, die gesamte Gesellschaft sei eine einzige große Familie, er bemerkt aber auch, dass die jungen Leute Sebastian Hollert leicht herablassend behandeln, geradezu wie einen Versager. Für einen Moment bedauert er Hollert. Er hat wohl nie in seinem Leben die Noten bekommen, die ihm eine Elitehochschule öffneten, ist weit weniger weltgewandt als die hier versammelten Freunde, sein Studium an der hiesigen Universität gilt offensichtlich als Makel, und dass er überdies ein zweites Studium belegen muss und ausgerechnet ein künstlerisches hebt bei diesen jungen Leuten kaum sein Ansehen. Eine andere Welt, sagt sich Stolzenburg, doch nach einem weiteren Blick auf diese Menschen korrigiert er sich, er selbst ist es, der aus einer anderen Welt stammt, aus einem Paralleluniversum, aus der Vergangenheit. Auf die Frage einer der jungen Damen, woher er komme, wo er arbeite, sagt er, er sei Billardspieler, er lebe vom Billardspielen.
    »Wie, was heißt das? Machen Sie das denn beruflich?«, fragt sie verblüfft.
    Er nickt lediglich und lächelt verschwiegen.
    »Ihr Beruf ist Billardspieler?«
    »Ich lebe davon«, bestätigt er freundlich.
    »Wie machen Sie das?«, erkundigt sie sich begeistert. »Das ist ja toll. Und das geht wirklich, vom Billardspielen zu leben?«
    »Wenn man gut ist, geht das sehr gut«, erwidert er lediglich.
    Zehn Minuten später erscheinen Onkel Friedl und Sebastian Hollerts Vater. Der junge Hollert bemerkt den überraschten Blick von Stolzenburg und sagt ihm, sein Vater und der Onkel seien Zwillinge, eineiige Zwillinge. Unterscheidbar sind beide nur durch das Äußere, einer hat eine korrekte Kurzhaarfrisur, trägt einen maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzug und eine silberne Krawatte, der Zwillingsbruder hat lange Haare, die seinen Kopf wild umrahmen, trägt Jeans und eine Cordjacke mit tief ausgebeulten Taschen, und um den Hals ist äußerst nachlässig eine samtene Fliege gebunden. Sebastian Hollert stellt sie ihm vor, der Mann mit den Jeans und der Samtfliege ist nicht, wie Stolzenburg vermutet hat, der ungewöhnliche Onkel, sondern sein Vater, derdas erfolgreiche, wenn auch angeblich gefährdete Unternehmen leitet. Die beiden Männer geben ihm die Hand, dann wenden sie sich den jungen Leuten zu.
    Stolzenburg beginnt sich zu langweilen, an einem Gespräch mit ihm ist offensichtlich keiner interessiert, und er beschließt, den Besuch abzukürzen. Er sagt Sebastian Hollert, er müsse aufbrechen, er habe noch zu tun, wenn sein Vater oder sein Onkel ihn sprechen wolle, sei jetzt die einzige Gelegenheit. Minuten später kommen beide zu ihm und erkundigen sich nach Sebastians Studium. Stolzenburg antwortet ausweichend. Als der Onkel ihn direkt fragt, ob er mit ihm zufrieden sei, erwidert er, er wäre ein schlechter Lehrer, wenn er mit den Leistungen seiner Schützlinge zufrieden sei, denn jeder Student vermag mehr, wenn er nur entsprechend gefördert und gefordert werde. Der Onkel ist mit der Antwort nicht zufrieden und schaut ihn schweigend und missbilligend an. Antwortheischend wäre das richtige, längst verlorene Wort, kommt Stolzenburg in den Sinn. Es ist ein kalter, grauer Blick, es sind die Augen eines Reptils, die ihn

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