Weiss wie der Tod
jemanden kennengelernt.»
«Frisch verliebt also.»
«Ja, so was in der Art.»
«War es die erste Nacht?»
Levy nickte. «Ich habe kein Auge zugemacht.»
«Dann haben wir etwas gemeinsam. Auch ich habe nicht geschlafen. Kein Wunder bei dem Sturm.»
«Welcher Sturm?»
«Na, hören Sie. Die ersten Ausläufer von Antje sind letzte Nacht über Hamburg hinweggezogen. Die Feuerwehr und die Polizei waren rund um die Uhr im Einsatz.»
«Ich habe nichts davon mitbekommen. War es schlimm?»
«Kann man wohl sagen. In Wilhelmsburg und in den elbnahen Stadtteilen verstärken sie die Deiche. Die Meteorologen rechnen mit dem Schlimmsten. Schottland soll es kräftig erwischt haben.»
«Gibt es schon Meldungen?»
«Die Nordküste ist schwer getroffen worden. Es wird mit vielen Toten gerechnet. Die Halligen wurden bereits evakuiert, und auf Stavanger in Norwegen rast eine Sturmflut zu. Dieses Mal scheint es wirklich ernst zu werden.»
Levy blickte zum Seitenfenster hinaus. Er konnte nichts erkennen. Der Wind drückte eine Wasserwelle nach der anderen über das Glas. Zuckende blaue Lichter der Einsatzfahrzeuge huschten vorbei. Eine Bö erfasste das Taxi und neigte es zur Seite. Levy hörte den Taxifahrer fluchen, als er versuchte, den Wagen in der Spur zu halten.
«Haben Sie schon mal eine Morddrohung erhalten?», fragte Levy unvermittelt.
Ein kurzer, verwirrter Blick erfasste ihn über den Rückspiegel.
«Ich meine», fuhr Levy fort, «von jemand Unbekanntem, der behauptet, Sie ständig im Auge zu haben. Er kann jederzeit zuschlagen. Und Sie wissen nicht, aus welcher Richtung der Angriff kommt und zu welcher Stunde. Was würde das in Ihnen auslösen?»
Der Mann antwortete nicht. Die halbe Sekunde, in der die Scheibenwischer für klare Sicht sorgten, erforderte seine gesamte Aufmerksamkeit.
«Also, ich würde mir normalerweise ganz schön in die Hosen machen», beantwortete Levy seine Frage. «Man weiß ja nie, welche Idioten sich da draußen rumtreiben.»
«Und, tun Sie es?»
Levy grinste. «Das ist ja das Verrückte. Nicht die Bohne.»
Dem Blick im Spiegel nach zu urteilen, wurde er dem Taxifahrer allmählich unheimlich. Er stellte keine weiteren Fragen und steuerte den Wagen stumm durch die Fluten.
Im Polizeipräsidium herrschte Hektik. Durch die offenstehenden Türen sah er übernächtigte, sorgengeplagte Gesichter, die die eintreffenden Nachrichten zu immer neuen Szenarien und Einsatzplänen verdichteten. Levy beeindruckte das nicht. Er ging ruhigen Schrittes auf die Tür des Einsatzraums der Sonderermittlungseinheit zu.
Der Raum war wie verlassen. Die Stühle waren verwaist und die Computer aus. Levy betrat die kleine Teeküche und füllte die Kaffeemaschine. Während sie vor sich hin röchelte, ging er hinüber zur großen Wand, an der die bisherigen Ermittlungsergebnisse festgehalten waren.
Unter den Obduktionsfotos zu den zwei Prügelopfern und der zerstückelten Frauenleiche standen verschiedene Informationen. Der Ermittlungsname Patrick war mittlerweile gegen Jochen Landau ausgetauscht worden. Ein Bild von ihm war daneben angebracht. Es zeigte einen blondhaarigen Dreißigjährigen, in einem nach hinten offenen Raum stehend. Im Hintergrund die Spitzen von Baukränen und Dächer. Das könnte irgendwo in der Speicherstadt gewesen sein, sagte sich Levy. Dort wurde in letzter Zeit viel saniert.
Wieso hatte Marion Landau gerade dieses Foto ausgewählt? Gab es keine privaten Aufnahmen, die ihn im Kreis seiner Familie oder beim Grillen hinter dem Haus zeigten? Das wäre der Normalfall gewesen.
Nicht hier. Der Schnappschuss zeigte Jochen Landau mit dem Bauhelm unter dem Arm und in der anderen Hand den Bauplan. Die Aufnahme musste von einem Kollegen gemacht worden und ihm als Erinnerung zugeschickt worden sein.
In der Aufregung konnte Marion Landau natürlich das Nächstliegende vom Schreibtisch genommen haben, anstatt die Alben zu wälzen. Dennoch: Hinter jedem Entschluss verbarg sich eine Intention, egal, ob bewusst oder unbewusst.
Levy nahm einen Stift zur Hand und kreiste das Foto ein. Daneben schrieb er Hintergrund und unterstrich es. Als Unterpunkte fügte er hinzu: arbeitsversessen, wirtschaftlich gefährdet, familiäre Spannungen, keine Freunde, keine Hobbys, keine sozialen Kontakte. Sonstige Freizeitbeschäftigungen und Interessen? Wo ist der Mensch Jochen Landau?
Ein neuer Oberpunkt bildete seine Ehefrau Marion. Loyal, kümmerte sich um Kinder, suchte Trennung …
«Was machst du schon hier?»,
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