Weiße Nächte, weites Land
Gespräch kommt doch mehr ans Licht, nicht?« Sie hakte sich bei Alexandra unter, drückte ihren Arm und führte sie in einen der hinteren Räume, der für Kunden bestimmt war, die sich die Kollektion in einer privaten Schau vorführen lassen wollten.
Dort stand ein runder Teetisch mit zwei samtbezogenen, zierlichen Stühlen. Christina ordnete ihr weich fließendes, unter der Brust gerafftes pastellblaues Kleid, bevor sie der Tochter gegenüber Platz nahm.
»Nun, wie lange wirst du bleiben können, Alexandra?«, begann sie im Plauderton. Das Lächeln auf ihrem Gesicht gefror, als sie Alexandras Miene sah. Alles Scheue, alles Schüchterne war auf einmal aus dem jungen Gesicht verschwunden. Um den schmallippigen Mund legte sich eine Härte, die selbst bei einer sehr viel älteren Frau erschreckend gewirkt hätte. Das Glühen der Augen verursachte Christina ein Frösteln. Ihre Finger verkrampften sich um den Rand der silbern eingefassten Glasplatte.
»Das hängt ganz von dir ab, Mama. « Hatte Alexandra den zärtlichen Titel eben noch wie ein nach Liebe dürstendes Kind ausgesprochen, so troff ihre Stimme nun vor Hohn. Sie zog die Schnüre des Ridiküls auf, das sie auf ihrem Schoß hielt, und zerrte einen Packen Briefe hervor, die sie mit einem Klatschen auf den Tisch warf, so dass sie auffächerten und fast die gesamte Fläche einnahmen.
Christina starrte auf die Umschläge. Ein pochender Schmerz setzte hinter ihrer Stirn ein, während sie erkannte, dass Alexandra ihr hier all die Briefe vorlegte, die sie Eleonora geschrieben hatte. »Was … wie in Teufels Namen kommst du an die? Die Briefe gingen an Eleonora …«
Ein schepperndes Lachen kam über Alexandras Lippen. »Sie war so dumm, sie nicht gut genug wegzuschließen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich gefreut habe, als sie mir in die Hände fielen.«
Doch, das konnte Christina sich allmählich mit einem Teil ihres Verstandes vorstellen. Erinnerungsfetzen schwirrten durch ihren Kopf, einzelne Sätze aus vergangenen Jahren. Wie sie sich über André und seine Anhänglichkeit lustig gemacht hatte. Wie ausführlich sie Eleonora ihre Pläne geschildert hatte, von denen André nie etwas ahnte … Sie hob die Hand und wollte die Briefe zusammenschieben, aber Alexandra krallte ihre Fingernägel so fest in ihren Unterarm, dass Christina vor Schmerz aufschrie.
»Wie wichtig sind dir diese Briefe? Und wie wichtig bin ich dir, Mutter?« Mit wenigen schnellen Handbewegungen verstaute Alexandra die Briefe wieder in dem Seidenbeutel und verschloss ihn.
Christina griff sich mit Zeige- und Mittelfinger an die Schläfe und massierte sie. »Lass uns in aller Ruhe darüber reden, Alexandra! Ich kann mir denken, dass dich manches, was ich geschrieben habe, irritiert hat und du nun Antworten suchst …«
Wieder stieß Alexandra ihr klirrendes Lachen aus. »Gewiss suche ich Antworten. Vor allem auf die Frage: Wie viel ist es dir wert, dass dein geliebter Gatte diese Briefe niemals zu Gesicht bekommt?«
Christina klappte der Mund auf, während sie ihre Tochter anstarrte. »Du willst mich erpressen? Du willst Geld von mir? Was für ein erbärmliches Vorhaben …«
»Was soll ich mit deinem Geld? In dieser Beziehung ging es mir doch in Saratow nicht schlecht. Nein, Mutter, ich will das, was alle anderen Mütter ihren Kindern freiwillig und von Herzen geben: Ich will bei dir sein.«
Christina fühlte, wie das Blut aus ihrem Kopf wich. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nah und kämpfte gegen den Schwindel. Sich bloß jetzt keine Schwäche leisten … »Wie … wie stellst du dir das vor? Was heißt das, du willst bei mir sein? Wo willst du wohnen, was willst du hier tun?«
Alexandra lehnte sich auf dem Stuhl zurück, streckte die Füße von sich und verschränkte die Arme vor dem geschnürten Mieder. Ein sattes Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus. »Warum so weit planen? Erst einmal wohne ich bei dir, und du lehrst mich alles, was ich über den Seidenhandel und die Mode in Petersburg wissen muss. Irgendwann, wenn wir merken, was für ein wundervolles Gespann wir sind, wirst du mich zu deiner Teilhaberin erklären.«
Christina schüttelte fassungslos den Kopf. »Was … was soll ich André sagen? Wie soll ich dich ihm vorstellen?«
Alexandra lachte so laut auf, dass Christina den Impuls unterdrückte, sich die Ohren zuzuhalten. »Das, liebste Mutter, ist nun wirklich nicht mein Problem, oder?«
Schweigen senkte sich über die beiden wie unter
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