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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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genügte es vollends, im Dunstkreis Ihrer Majestät von ihrer Zuneigung zu profitieren. Wann immer es vonnöten sein sollte.
    Ein Glitzern trat in ihre Augen, als sie sich nun über ihn beugte und die Lippen beim Lächeln öffnete, um sie mit der Zungenspitze zu befeuchten. Das Negligé schwang auf und entblößte ihre üppige Brust, als sie in einer langsamen Bewegung einen Schenkel über seine Hüfte hob.
    Nikolaj erwiderte ihr Lächeln.
    Er war bereit.

Buch 1: Aufbruch
    Februar 1766 bei Büdingen
    1. Kapitel
    Waidbach, Februar 1766
    I hr könnt jetzt zu ihr gehen.« Ein kalter Lufthauch wehte aus der mit Vorhängen abgedunkelten Kammer, als Pastor Jäckel heraustrat. Er zog den Kopf mit dem grauen Haarkranz ein, um nicht gegen den Balken zu stoßen.
    Er nickte Christina zu, die vor der Tür gewartet hatte, und nahm dann die hinter ihr stehende Eleonora in die Arme. Christina sah, wie er die knochigen Schultern beugte, ihre Schwester an sich drückte und ihr dabei väterlich über den Rücken streichelte.
    Christina hob das Kinn und verschränkte die Arme vor der Brust. Dass sie nicht zu seinen liebsten Schäfchen in der Gemeinde zählte, war kein Geheimnis. Doch wen kratzte das? Wer brauchte die Zuwendung eines weltfremden Pfaffen? Er sollte seines Amtes walten, wann immer er gebraucht wurde wie jetzt am Sterbebett ihrer Mutter, und sich ansonsten aus den Dingen heraushalten, die ihn nichts angingen.
    Ob er Mitleid für ihre Schwester empfand? Weil der verfluchte Krieg ihr früh den Mann genommen hatte und sie mit ihrer knapp dreijährigen Tochter zusehen musste, wie sie über die Runden kam?
    Aber nein. Nicht die Umstände erwärmten des Pastors Herz für ihre Schwester und ließen eine Zornesfalte zwischen seinen Brauen wachsen, wann immer er in ihre, Christinas, Richtung blickte. Es lag an ihren so unterschiedlichen Wesen.
    Dem Pastor passte es seit ihrer frühesten Jugend nicht, dass sie das Leben in vollen Zügen zu genießen verstand und sich mit flinken Fingern als Erste die Rosinen herauspickte, wo immer es Kuchen gab.
    Das bescheidene Auftreten ihrer Schwester hingegen, ihre Sanftmut, ihr Gemeinschaftssinn und ihr geradliniges Denken fanden von Kindheit an seine Zustimmung und zauberten, wann immer er ihr begegnete, ein unerträglich gütiges Lächeln auf sein langes, faltiges Gesicht.
    »Komm jetzt!« Sie packte Eleonora an der Schürze, die sie über ihrem Winterkleid trug, und riss sie aus der Umklammerung des Geistlichen.
    »Ich will auch zu Mutter, ich will auch!« Die schrille Stimme der achtjährigen Klara erklang aus der Wohnstube, dann das Poltern, als sie die drei Stufen hinauf zum ersten Stockwerk des Fachwerkhauses hastete.
    »Pst«, zischte Christina ihr zu.
    Pastor Jäckel nahm Klaras von Sommersprossen übersätes Gesicht in beide Hände und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Geh mit deinen Schwestern, Klara, und nimm Abschied in Würde.«
    »Abschied? Oh, nein, Herr Pastor, bitte nicht. Bitte machen Sie, dass sie noch nicht stirbt! Sie darf noch nicht sterben. Was soll aus uns werden, wenn sie nicht mehr da ist? Bitte, Herr Pastor, helfen Sie ihr …«
    »Kindchen, Kindchen …« Der Geistliche presste das Mädchen an sich, streichelte über die zu Kringeln aufgedrehten honigfarbenen Zöpfe. »Gott ruft sie zu sich. Ihre Stunde ist gekommen. Hilf ihr, in Ruhe und Frieden zu gehen.«
    Klaras Schluchzen an seinem Bauch verebbte. Zitternd zog sie die Nase hoch und wischte sie sich mit dem Blusenärmel ab.
    Eleonora drängte sich in dem engen Flur, in dem sich der Geruch nach feuchtem Holz mit dem abgestandenen Rauch des Bollerofens aus der Küche mischte, an dem Pastor vorbei. »Wo ist Sophia? Hast du nicht gerade noch mit ihr gespielt, Klara?«
    Christina unterdrückte ein Seufzen. Selbst in der Todesstunde der Mutter galt die größte Sorge ihrer Schwester wie stets dem Töchterchen.
    Klara wies mit dem ausgestreckten Arm in die Wohnstube. »Sie spielt mit dem Kochgeschirr und den Löffeln auf den Dielen. Ich habe ihr eine Wolldecke untergelegt, wegen der Kälte vom Boden.«
    Eleonora linste um die Ecke, um sich selbst zu vergewissern, dass es dem Kind an nichts fehlte. Der sorgenvolle Blick in ihren Augen blieb.
    Nacheinander betraten die drei Schwestern das Sterbezimmer der Mutter. Das herb-bittere Aroma von Kräutern überlagerte den Modergeruch der Holzbalken. Der Doktor hatte strenge Anweisung gegeben, die Fenster nicht mehr zu öffnen, und so wölkte sich seit Tagen über dem

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