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Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

Titel: Weißer Fluch: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Black
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willst. Und deine Mutter möchte ich auch nicht treffen. «
    Sie zögert. » Ich bin keine Fluchmagierin. Echt nicht. Nur weil ich– «
    » Ist mir egal, das hab ich doch schon gesagt. «
    » Es ist dir egal, dass Fluchmagier in Südkorea zusammengetrieben und erschossen werden? Und dass sie hier in den USA im Grunde zu einer Art Leibeigenschaft bei den Gangsterfamilien gezwungen werden, ist dir auch egal? Das interessiert dich einfach nicht? «
    » Genau, es schert mich nicht. «
    Valerio kommt durch den Speisesaal auf mich zu. Das reicht auch Daneca, die keinen Tadel riskieren will, nur weil sie nicht da ist, wo sie sein sollte. Sie legt die Hand auf ihre Tasche und geht. Dann wirft sie mir einen letzten Blick zu, eine Mischung aus Enttäuschung und Verachtung, die mich trifft.
    Ich stecke mir ein dickes Stück Brot mit Sauce in den Mund und stehe auf.
    » Herzlichen Glückwunsch. Sie dürfen heute Nacht in ihrem Zimmer schlafen, Mr Sharpe. «
    Ich nicke kauend. Wer weiß, wenn ich heute Nacht durchhalte, lassen sie mich vielleicht doch bleiben.
    » Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Dekan Wharton mir seinen Hund überlassen hat, der im Flurschlafen wird. Dieser Hund wird aus vollem Hals bellen, wenn Sie wieder einen mitternächtlichen Ausflugmachen. Ich möchte Sie nicht außerhalb Ihres Zimmers sehen, auch nicht auf dem Weg zur Toilette. Verstanden? «
    Ich schlucke. » Ja, Sir. «
    » Dann gehen Sie jetzt lieber und machen sich an die Hausaufgaben. «
    » Verstanden « , sage ich. » Selbstverständlich. Vielen Dank, Sir. «
    Es kommt nur selten vor, dass ich vom Speisesaal allein zurückgehe. Über den Bäumen, deren Blätter so grün sind wie frische Knospen, segeln Fledermäuse durch den noch immer hellen Himmel. Die Luft riecht schwer nach niedergedrücktem Gras, hier und da auch nach Rauch. Irgendwo verbrennt jemand das nasse, halb verwelkte Winterlaub.
    Sam sitzt mit Kopfhörerstöpseln in den Ohren an seinem Schreibtisch, den breiten Rücken zur Tür gewandt. Er lässt den Kopf hängen, während er in sein Physikbuch kritzelt, und schaut kaum auf, als ich mich aufs Bett werfe. Wir haben jeden Abend Hausaufgaben, die für drei Stunden reichen, obwohl wir nur zwei Stunden Stillarbeit haben. Wenn man also in der Pause um halb zehn nicht ausflippen will, muss man sich ranhalten. Ich bezweifle zwar, ob das Bild von dem Zombiegirl mit den Riesenaugen, das dem Deppen James Page aus der Zwölf das Hirn rausbeißt, zu Sams Hausaufgaben gehört, aber falls doch, hat er einen tollen Physiklehrer.
    Ich hole die Bücher aus dem Rucksack und fange mit den Trigonometrie-Aufgaben an, aber während ich mit dem Bleistift über die Heftseiten kratze, merke ich, dass ich dem Unterricht nicht genügend gefolgt bin, um sie lösen zu können. Ich schiebe diese Bücher auf mein Kopfkissen und lese lieber das Kapitel über Mythologie, das wir aufbekommen haben. Es geht schon wieder um irgendeine olympische Familientragödie mit Zeus in der Hauptrolle. Seine Frau Hera bringt seine schwangere Freundin Semele mit einem üblen Trick dazu, ihn zu bitten, sich ihr in seiner göttlichen Pracht zu zeigen. Obwohl er weiß, dass Semele dabei umkommen wird, zeigt er ihr, was er hat. Minuten später schneidet er ihr das Baby Dionysos aus dem verbrannten Leib und näht ihn sich ins eigene Bein. Kein Wunder, dass Dionysos gesoffen hat. Ich bin gerade da, wo Dionysos als Mädchen aufgezogen wird (natürlich, um ihn vor Hera zu verstecken), als Kyle gegen den Türrahmen haut.
    » Was? « , fragt Sam, nimmt einen Ohrhörer raus und dreht sich um.
    » Telefon für dich « , sagt Kyle in meine Richtung.
    Ehe alle ein Handy hatten, konnten die Schüler wahrscheinlich nur nach Hause telefonieren, wenn sie ihre Fünfundzwanzig-Cent-Münzen sparten und damit das uralte Münztelefon fütterten, das in jedem Schlaftrakt am Ende des Ganges hängt. Obwohl sie immer wieder für einen mitternächtlichen Jux herhalten müssen, wurden diese alten Telefone in Wallingford nicht abmontiert. Hin und wieder werden sie tatsächlich noch gebraucht, meistens rufen Eltern ihre Kinder an, weil deren Akku leer ist oder weil sie einfach keine SMS beantworten. Oder es ist meine Mutter, die aus dem Gefängnis anruft.
    Ich halte mir den vertrauten schwarzen Hörer ans Ohr. » Hallo? «
    » Ich bin wirklich enttäuscht von dir « , sagt Mom. » Diese Schule macht dich noch weich in der Birne. Was wolltest du da oben auf dem Dach? « Eigentlich dürfte Mom von dem

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