Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

unserer ersten Begegnung hatte sie blutige Krusten im Fell.
    » Hasst du mich noch? « , frage ich sie.
    » Ich weiß nicht « , sagt sie. » Ein bisschen. «
    Meine Rippen tun weh. Ich möchte gern die Augen schließen. Irgendwo fängt ein Baby an zu plärren. In der Reihe vor uns telefoniert ein Geschäftsmann. » Ich möchte kein Sorbet « , sagt er, » ich mag kein Sorbet. Ich will einfach stinknormales Eis. «
    Vielleicht hätte ich es verdient, dass meine Rippen noch viel schlimmer schmerzen.

FÜNFZEHNTES KAPITEL
    AM BOARDWALK VON ATLAN TIC City funkeln die Lichter wie am helllichten Tag. Als wir endlich vor dem Taj-Mahal-Hotel aus dem Taxi steigen, sind wir beide müde und steif von der langen Reise.
    Ich sehe auf die Uhr. Es ist Viertel nach neun, Lila ist spät dran.
    » Ab jetzt komme ich auch allein klar « , sagt sie.
    Gähnend hole ich einen Kuli aus der Tasche. Es ist ihrer, mit dem sie ihr Bein bemalt hat. Ich schreibe ihr meine Handynummer auf den Arm, direkt dort, wo der Handschuh endet.
    Mit halb geschlossenen Augen schaut sie zu, wie die Tintenzeichen über ihre Haut laufen. Wie wäre es wohl, wenn ich sie jetzt küssen würde, unter der Straßenlaterne– mit offenen Augen?
    » Sag Bescheid, wenn es gut gelaufen ist « , sage ich stattdessen leise.
    Sie schaut auf die Nummer. » Fährst du zurück? «
    Ich schüttele den Kopf. » Ich laufe ein wenig herum und esse was, aber bevor du dich nicht meldest, fahre ich nirgends hin. «
    Sie nickt. » Drück mir die Daumen. «
    » Viel Glück « , sage ich.
    Ich sehe zu, wie sie sich in ihrem seltsam wiegenden Gang entfernt und das Hotel betritt. Nach einigen Minuten gehe ich in das Casino, das im gleichen Gebäude liegt.
    Drinnen atme ich den vertrauten Geruch von faden Zigarillos und Whisky ein. Die Automaten trällern und rasseln. Irgendwo klirren Münzen. Die Leute beugen sich über die Schlitze, in der einen Hand einen Plastikbecher, in der anderen die Münzen. Einigen sieht man an, dass sie schon länger hier sind.
    Zwei Wachleute lösen sich von der Wand und kommen auf mich zu.
    » Hey, Junge « , ruft der eine. » Komm mal her. « Wahrscheinlich haben sie geblickt, dass ich minderjährig bin.
    » Bin schon weg « , sage ich und gehe durch die Hintertür. Die Meeresluft brennt auf meinem Gesicht.
    Die Hände in den Hosentaschen, gehe ich über den abgenutzten Steg und denke an Lila und ihren Vater ein paar Etagen höher. In meiner Kindheit war Zacharov eine undurchsichtige Figur, eine Legende, der schwarze Mann. Ich habe ihn höchstens dreimal getroffen, davon einmal auf Lilas Geburtstagsparty. Ich weiß noch, dass er lachte, als sie mich hinauswarfen.
    Hinter dem Taj Mahal beugen sich ein paar alte Frauen über das Geländer und werfen etwas in den Sand. In der Nähe des Eingangs rauchen einige Männer in Jogginganzügen und rufen vorbeieilenden Passantinnen etwas zu. Und ein Mann in einem langen Kaschmirmantel und silberweißem Haar sieht auf das Meer hinaus.
    Ich berühre die Tasche mit meinem Handy. Eigentlich sollte ich Großvater anrufen, aber ich bin noch nicht so weit, mir eine Ausrede einfallen zu lassen.
    Der weißhaarige Mann dreht sich zu mir um. Bei näherem Hinsehen entdecke ich zwei Riesenkerle am Schaufenster eines Toffee-Shops, die sich bemüht unauffällig geben.
    » Cassel Sharpe « , sagt Mr Zacharov. Bei seinem leichten Akzent hört sich mein Name geradezu exotisch an. Obwohl es bereits dunkel ist, trägt er eine Sonnenbrille. In seiner Krawattennadel funkelt ein dicker roter Stein. » Ich glaube, jemand hat mich von deinem Handy angerufen. «
    Anscheinend hat Mom doch recht, was das Festnetz angeht.
    » Richtig « , sage ich betont lässig.
    Er schaut sich um, als könnte er sie in der Menge finden. » Wo ist sie? «
    » Auf dem Zimmer « , antworte ich. » Wie sie gesagt hat. «
    Auf einmal ertönt ein kehliges Jaulen und ich drehe mich ruckartig um. Meine Muskeln tun weh. Ich hätte meine Schmerzen beinahe vergessen.
    Mr Zacharov lacht. » Katzen « , sagt er. » Unter dem Boardwalk leben ganze Scharen von ihnen. Lila mochte immer schon Katzen. Du erinnerst dich. «
    Ich schweige.
    » Wenn sie auf dem Zimmer wäre, hätten meine Leute mich angerufen. « Er neigt den Kopf und steckt eine behandschuhte Hand in die Hosentasche. » Ich glaube, du erlaubst dir ein Spielchen. Wen hast du angeheuert, sich am Telefon als meine Tochter auszugeben? Wolltest du Geld von mir? Das scheint mir ein sehr dummes Spiel zu sein. «
    » Sie